XV. Eingriffe und Behandlungen an Tieren im Rahmen der Aus-, Fort- oder Weiterbildung sowie andere Eingriffe und Behandlungen zu wissenschaftlichen Zwecken

 

Im Europäischen Übereinkommen vom 18. März 1986 zum Schutz der für Versuche und andere wissenschaftliche Zwecke verwendeten Wirbeltiere sind Regelungen über Eingriffe und Behandlungen an Tieren im Rahmen der Lehre und Ausbildung getroffen.

Da die EG auf dem Gebiet der Ausbildung nicht über Rechtsetzungskompetenzen verfügt, enthält die Richtlinie 86/609/EWG keine Regelungen hierzu. Um jedoch auch in diesem Bereich eine gewisse Harmonisierung innerhalb der EU zu erreichen, haben sich die im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten in der Entschließung 86/C 331/ 01 vom 24. November 1986 (ABl. EG Nr. C 331 S. 1) verpflichtet, die Anforderungen auch für diesen Bereich den sonstigen Bestimmungen der Richtlinie anzupassen. Für die Lehre und Ausbildung sollen hiernach Eingriffe und Behandlungen an Tieren grundsätzlich nur an Hochschulen und anderen Einrichtungen gleicher Stufe zulässig sein.

Das Tierschutzgesetz unterscheidet definitionsmäßig zwischen Tierversuchen und Eingriffen und Behandlungen an Tieren, die mit Schmerzen, Leiden oder Schäden verbunden sind und die im Rahmen der Aus-, Fort- oder Weiterbildung durchgeführt werden. Zweck der Eingriffe und Behandlungen an Tieren im Rahmen der Aus-, Fort- oder Weiterbildung ist die Demonstration eines bekannten Effekts bzw. das Erlernen bestimmter Techniken für Eingriffe und Behandlungen, während beim Tierversuch in der Regel eine offene wissenschaftliche Frage bearbeitet wird.

Diese Eingriffe und Behandlungen dürfen nur vorgenommen werden, soweit ihr Zweck nicht auf andere Weise erreicht werden kann; sie müssen vor Aufnahme in das Lehrprogramm der zuständigen Behörde angezeigt werden (§ 10 TierSchG). Zu der Frage, inwieweit sich die Bestimmungen des § 10 TierSchG nur auf Maßnahmen an lebenden Tieren beziehen, hat sich das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil vom 18. Juni 1997 geäußert (BVerwGE 105, 73, 82; vgl. dazu auch Abschnitt II Nr. 1.1). Nach Auffassung des Gerichts ist die Tötung eines Tieres der mit dem schwersten Schaden verbundene Eingriff. Wenn die Tiere allein zu dem Zweck getötet würden, sie später zu Versuchszwecken in den zoologischen Praktika zu verwenden, so sei die Tötung ein "Eingriff zur Aus-, Fort- und Weiterbildung". Diese Auslegung steht allerdings im Widerspruch zu der bisherigen Rechtsanwendung. Hierbei wurde davon ausgegangen, dass sich die Bestimmungen des § 10 TierSchG nur auf lebende Tiere beziehen und somit für Tiertötungen, die der Gewinnung von Demonstrationsmaterial für Lehrzwecke dienen, allein § 1 TierSchG (Vorliegen eines vernünftigen Grundes) in Verbindung mit § 4 TierSchG maßgeblich ist.

Die tierschutzrechtlichen Regelungen über die Verwendung von Tieren zu Ausbildungszwecken waren bereits mehrfach Gegenstand von Gerichtsverfahren, in denen verfassungsrechtliche Fragen im Mittelpunkt standen. Zum einen betreffen die Entscheidungen die Frage, ob die zuständige Behörde nach einer Anzeige gemäß § 10 TierSchG die Durchführung der betreffenden Lehrveranstaltung mit der Begründung versagen darf, der Zweck sei auch durch andere Lehrmethoden zu erreichen. In diesen Fällen geht es um das Spannungsverhältnis zwischen der durch Artikel 5 Abs. 3 GG geschützten Freiheit der Lehre und den Belangen des Tierschutzes. Zum anderen hatten die Gerichte bei Interessenkollisionen zwischen der Freiheit der Lehre einerseits und der ebenfalls verfassungsrechtlich garantierten Gewissensfreiheit zu entscheiden. Auf dieses Grundrecht berufen sich Studenten, die sich aus Gewissensgründen weigern, an Praktika teilzunehmen, für deren Durchführung Eingriffe oder Behandlungen an Tieren notwendig sind.

Während bei der direkten Kollision zwischen der Lehrfreiheit nach Artikel 5 Abs. 3 GG und dem Tierschutz dem vorbehaltlos gewährten Grundrecht der Lehrfreiheit Vorrang eingeräumt wird, wird in den Fällen, in denen das Tierschutzanliegen zur grundrechtlich geschützten Gewissensentscheidung erhoben wird, eine Abwägung im Einzelfall vorgenommen. Diese Abwägung kann zur Verpflichtung des Lehrenden führen, alternative Lehrmethoden anzubieten, um die Gewissensentscheidung des Studierenden gegen die Verwendung von Tieren als Lehrobjekte zu schützen. Allerdings wurden vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwGE 105, 73 ff.) hohe Anforderungen an den Nachweis gestellt, dass tatsächlich alternative Lehrmethoden zu Verfügung stehen und diese ebenso geeignet zum Erreichen des Lehrziels sind wie die vorgesehenen Eingriffe und Behandlungen an Tieren. Dieser Nachweis ist vom Studierenden zu führen, der sich auf seine Gewissensentscheidung beruft.

Zu dem Spannungsverhältnis zwischen der Wissenschaftsfreiheit nach Artikel 5 Abs. 3 Satz 1 GG und dem Tierschutz wird auch auf die Ausführungen in Abschnitt II. Nr. 1.1 dieses Berichtes verwiesen.

Durch die Novellierung des Tierschutzgesetzes 1998 sind auch Träger von Einrichtungen für Aus-, Fort- oder Weiterbildungszwecke nach § 10 TierSchG zur Bestellung eines oder mehrerer fachlich qualifizierter Tierschutzbeauftragter verpflichtet (§ 10 Abs. 2 Satz 1, § 8b TierSchG). Durch die Kompetenzerweiterung der Tierschutzbeauftragten soll die Eigenkontrolle in der Wissenschaft weiter verbessert werden. Zudem besitzt die zuständige Tierschutzbehörde seit 1998 die Möglichkeit, eine Begründung von der Einrichtung zu verlangen, warum der Zweck der Eingriffe oder Behandlungen nicht auf andere Weise erreicht werden kann (§ 10 Abs. 1 Satz 3 TierSchG).

Im neu eingefügten siebenten Abschnitt TierSchG ist geregelt, dass Eingriffe oder Behandlungen an Wirbeltieren, die mit Schmerzen, Leiden oder Schäden verbunden sein können, zu Herstellung, Gewinnung, Aufbewahrung oder Vermehrung von Stoffen, Produkten oder Organismen nur vorgenommen werden dürfen, wenn die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 und 3 TierSchG vorliegen. Das bedeutet, dass diese Art von Eingriffen und Behandlungen für dort aufgelistete Zwecke unerlässlich und ethisch vertretbar sein müssen. Die personellen und sachlichen Voraussetzungen werden analog den Vorgaben über Tierversuche gefordert und es ist der Tierschutzbeauftragte zu beteiligen. Die Eingriffe oder Behandlungen sind gegenüber der Behörde anzeigepflichtig und auf Grundlage der novellierten Versuchstiermeldeverodnung meldepflichtig. Die Zahlen werden ab 2001 jährlich gemeldet und von BMVEL veröffentlicht.

 

[Inhaltsverzeichnis]
[zum vorherigen Kapitel] [weiter im Tierschutzbericht 2001]

© BMVEL, 2001

* * * * *