II. Entwicklung des Rechtsrahmens und internationaler Vereinbarungen für den Tierschutz

 

Den Rechtsrahmen für den Tierschutz bilden das Bundesrecht und sein Vollzug durch die Länder. Der Bund hat mit dem Tierschutzgesetz von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht, so dass neues Landesrecht zum Tierschutz nicht mehr entstehen kann.

Von besonderer aktueller Bedeutung für den Tierschutz sind die Beschlüsse der WTO-Verhandlungen, da diese maßgeblich die Weiterentwicklung des nationalen bzw. supranationalen Tierschutzrechtes beeinflussen werden.

 

1 Nationale Rechtsetzung

Nach Artikel 74 Abs. 1 Nr. 20 GG unterliegt der Tierschutz der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes. Der Bund hat mit dem Tierschutzgesetz von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht. Tierschutz im Sinne des Artikels 74 Abs. 1 Nr. 20 GG umfasst Haltung, Pflege, Unterbringung und Beförderung von Tieren, Tierversuche sowie das Schlachten von Tieren, einschließlich organisatorischer Regelungen zur Überwachung und Förderung des Tierschutzes.

1.1 Stellung des Tierschutzes im Grundgesetz, Staatsziel Tierschutz

Nach der Rechtsprechung des BVerfG liegt ein effektiver Tierschutz grundsätzlich im Interesse des Gemeinwohls (vgl. BVerfGE 36, 47, 57 ff.). Die Handlungsfreiheit der Staatsbürger kann durch Anwendung des Leitgedankens des geltenden Tierschutzgesetzes, Tieren nicht "ohne vernünftigen Grund" das "unerlässliche Maß" übersteigende "Schmerzen, Leiden oder Schäden" zuzufügen, eingeschränkt werden. Die Einschränkung des Verbots durch den "vernünftigen Grund" und die "Unerlässlichkeit" trägt dem Verhältnismäßigkeitsgebot Rechnung. Die Ausgestaltung des Tierschutzes obliegt in diesem Rahmen weitgehend der eigenverantwortlichen Entschließung des Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 36, 47, 57 f.; 48, 376, 389).

Dem Tierschutz ist gegenwärtig im Grundgesetz kein Verfassungsrang gewährt.

Diese Aussage zur verfassungsrechtlichen Stellung des Tierschutzes trifft das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 18. Juni 1997 (BVerwGE 105, 73, 81). Die Entscheidung betrifft die Klage einer Biologiestudentin, die die Teilnahme an Tierversuchen im Rahmen der Ausbildung aus Gewissensgründen verweigerte und dadurch für den Studienabschluss erforderliche Leistungsnachweise nicht erbringen konnte. Das Bundesverwaltungsgericht führt aus, der Tierschutz habe keinen Verfassungsrang, so dass er nicht als eine mit der Lehrfreiheit kollidierende Grundrechtsnorm in die Lösung des verfassungsrechtlichen Spannungsverhältnisses zwischen der Lehrfreiheit und der Gewissensfreiheit der Studierenden einzubeziehen sei. Darüber hinaus weist das Bundesverwaltungsgericht darauf hin, dass bei der Novellierung des Grundgesetzes 1994 die Aufnahme des Tierschutzes als Staatsziel nicht die erforderliche Mehrheit gefunden habe. Ferner könne aus Artikel 74 Abs. 1 Nr. 20 GG diese hervorgehobene Rechtsposition des Tierschutzes nicht abgeleitet werden, da diese Bestimmung allein die Gesetzgebungskompetenz regele. Auch andere Erklärungsversuche für den Verfassungsrang des Tierschutzes - wie die Ableitung aus Artikel 1 Abs. 1 GG (Menschenwürde), Artikel 2 Abs. 1 GG (Sittengesetz) und Artikel 20a GG (Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen) - werden abgelehnt. Allerdings erteile § 10 Abs. 1 TierSchG keinen Freibrief zum Töten, da Eingriffe und Behandlungen an Tieren zu Lehrzwecken nur ausgeführt werden dürfen, soweit ihr Zweck nicht auf andere Weise erreicht werden kann. Eine Verfassungsbeschwerde gegen dieses Urteil lehnte das BVerfG mit Beschluss vom 20. März 2000 (1 BvR 1834/97) ab, da nicht zu erkennen sei, dass sich das Bundesverfassungsgericht mit der Frage beschäftigen muss, welcher Rang dem Tierschutz im Grundgesetz zukomme.

Dem BVerfG wurde im Jahre 1994 die Frage der Verfassungsmäßigkeit von § 7 Abs. 3 TierSchG im Hinblick auf das vorbehaltlos gewährleistete Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit nach Artikel 5 Abs. 3 Satz 1 GG im Rahmen einer Normenkontrollklage gemäß Artikel 100 Abs. 1 GG vorgelegt. Es lehnte eine Sachentscheidung mit der Begründung ab, das Verwaltungsgericht habe die Möglichkeit einer anderen Auslegung der Vorschriften des Tierschutzgesetzes nicht ausreichend genutzt (Beschluss vom 20. Juni 1994 - 1 BvL 12/94 - NVwZ 1994, S. 894 ff.). Nach Auffassung des BVerfG ist die ethische Vertretbarkeit eines Tierversuchs wissenschaftlich begründet darzulegen, nicht jedoch nachzuweisen. Die Behörde dürfe nicht die ethische Vertretbarkeit und die wissenschaftliche Bedeutung des beantragten Versuchsvorhabens überprüfen, sondern nur eine qualifizierte Plausibilitätskontrolle der Darlegungen des Antragstellers vornehmen, so dass dem Antragsteller nicht ohne Weiteres außerwissenschaftliche Beurteilungsmaßstäbe aufgedrängt werden könnten.

Eine Verfassungsbeschwerde gegen das gesetzliche Verstümmelungsverbot nach § 6 Abs. 1 Satz 1 TierSchG nahm das BVerfG gemäß Kammerbeschluss vom 19. Juli 1999 mangels Erfolgsaussichten nicht an (1 BvR 875/99, NJW 1999, S. 3707). Das BVerfG führte aus, dass das gesetzliche Verbot des Kupierens von Schwanz und Ohren bei Hunden (§ 6 Abs. 1 Satz 1 TierSchG) nicht gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit nach Artikel 12 Abs. 1 GG verstoße. Das Ziel, Tiere vor unnötiger Verstümmelung zu schützen, sei ein legitimer Gemeinwohlbelang, den der Gesetzgeber mit verhältnismäßigen Mitteln zu erreichen suche. Der Gesetzgeber überschreite die ihm zustehende Einschätzungsprärogative nicht, wenn er davon ausgeht, dass alle dem Tier von Natur aus gegebenen Körperteile erhaltenswert sind.

Ein weiteres Spannungsverhältnis besteht zwischen dem Tierschutz und dem vorbehaltlos gewährleisteten Grundrecht der Religionsfreiheit nach Artikel 4 Abs. 1 und 2 GG hinsichtlich der Frage, ob und inwieweit das "Schächten", das heißt das Schlachten ohne Betäubung gemäß religiösen Regeln, zuzulassen ist. In seinen Urteilen vom 15. Juni 1995 (3 C 31.93) und vom 23. November 2000 (3 C 40.99) hat das Bundesverwaltungsgericht die Versagung einer Ausnahmegenehmigung vom Verbot des Schächtens nach § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG bestätigt (vgl. hierzu Abschnitt X). In beiden Urteilen führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Regelung des § 4a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG mit dem Grundgesetz vereinbar sei.

Unter anderem die erwähnten Verfahren haben die Forderung nach Aufnahme eines Staatsziels "Tierschutz" in das Grundgesetz nicht nur auf Seiten der Tierschutzorganisationen stärker werden lassen. Zahlreiche Bürger haben sich mit entsprechenden Eingaben an die Bundesregierung gewandt. Von Seiten der Wissenschaftler und ihrer Organisationen wurden hingegen Vorbehalte geltend gemacht, da sie die geltenden Regelungen für ausreichend halten und von der Aufnahme des Tierschutzes ins Grundgesetz lediglich bürokratische Hemmnisse erwarten, ohne dass der Tierschutz dadurch verbessert würde.

In der Koalitionsvereinbarung vom 20. Oktober 1998 einigten sich SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN über eine Initiative zur Aufnahme des Tierschutzes in das Grundgesetz.

Anfang 1999 legten die F.D.P. (Bundestagsdrucksache 14/207), die PDS (Bundestagsdrucksache 14/279), die SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Bundestagsdrucksache 14/282) sowie der Bundesrat (Bundestagsdrucksache 14/758) entsprechende Gesetzentwürfe zur Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz vor. In den folgenden Beratungen in den Ausschüssen des Bundestages einigten sich die Fraktionen der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. auf folgenden Änderungsantrag zu dem Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes (Bundestagsdrucksache 14/282): In Artikel 20a GG werden nach dem Wort "Lebensgrundlagen" die Wörter "und die Tiere" eingefügt (vgl. Bundestagsdrucksache 14/3165). Artikel 20a GG hätte dann folgende Fassung:

"Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung."

Der Gesetzentwurf ist in dieser Fassung in der Bundestagssitzung am 13. April 2000 abgelehnt worden, da er nicht die nach Artikel 79 Abs. 2 GG erforderliche Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages - mindestens 446 Stimmen - erhalten hat, sondern nur 392 Abgeordnete mit Ja stimmten (vgl. Plenarprotokoll 14/99, S. 9258 ff. (9279)).

Die Gesetzentwürfe der Fraktionen der F.D.P. (Bundestagsdrucksache 14/207) und der PDS (Bundestagsdrucksache 14/279) sowie der des Bundesrates (Bundestagsdrucksache 14/758) zur Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz wurden jeweils an die Ausschüsse zurückverwiesen.

1.2 Stellung des Tieres im bürgerlichen Recht

Im Jahre 1990 wurde das Gesetz zur Verbesserung der Rechtsstellung des Tieres im bürgerlichen Recht (BGBl. I S. 1762) erlassen, das die formale Gleichstellung des Tieres mit Sachen im bürgerlichen Recht beseitigt. Der durch dieses Gesetz neu eingefügte § 90a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) bestimmt, dass Tiere keine Sachen sind und durch besondere Gesetze geschützt werden. Diese Vorschrift bringt zum Ausdruck, dass der Mensch den Tieren als empfindende Mitgeschöpfe zu Schutz und Fürsorge verpflichtet ist. Allerdings erhalten Tiere keine dem Menschen vergleichbare Rechtsstellung, vielmehr sind die für Sachen geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist. Dies bedeutet, dass Tiere selbstverständlich weiterhin veräußert oder vererbt werden können.

Im Schadensersatzrecht wurde in § 251 Abs. 2 Satz 2 BGB die Regelung eingeführt, dass Heilungskosten bei der Verletzung von Tieren grundsätzlich auch dann ein ersatzfähiger Schaden sind, wenn sie den Wert des Tieres erheblich überschreiten. Bei Entscheidungen über den Vollstreckungsschutz sind nach der vorgenommenen Änderung der Zivilprozessordnung (ZPO) nicht nur die Belange des Schuldners, sondern auch die Verantwortung des Menschen für das Tier zu berücksichtigen, wenn ein Tier Gegenstand der Zwangsvollstreckung ist (§ 765a Abs. 1 Satz 3 ZPO). Bei einer Pfändung werden Heimtiere privilegiert, indem sie gemäß § 811c ZPO nicht der Pfändung unterliegen, es sei denn, dies würde wegen des hohen Wertes des Tieres für den Gläubiger eine Härte bedeuten, die auch unter Berücksichtigung des Tierschutzes nicht zu rechtfertigen ist.

1.3 Stellung des Tieres im Strafrecht

Auch nach Einführung der Vorschrift § 90a BGB können Tiere im Strafrecht weiterhin Tatobjekt aller Straftatbestände sein, deren Schutzobjekt körperliche Sachen sind. Tiere können Tatobjekt eines Diebstahls (§§ 242 ff. Strafgesetzbuch (StGB)), einer Unterschlagung (§§ 246 ff. StGB), eines Raubes (§§ 249 ff. StGB), einer Hehlerei (§§ 259 ff. StGB) oder einer Sachbeschädigung (§§ 303 ff. StGB) sein. Außerdem sind nach den §§ 292 und 293 StGB die Jagd- und die Fischwilderei strafbar. Weitere Straftaten und Ordnungswidrigkeiten sind in den §§ 17 und 18 TierSchG geregelt.

Mit dem Gesetz zur Bekämpfung gefährlicher Hunde (Bundestagsdrucksache 14/4451, S. 7) - zu dem durch Bundesratsbeschluss vom 21. Dezember 2000 (Bundesratsdrucksache 802/00 (Beschluss)) der Vermittlungsausschuss angerufen wurde - wird ein neuer § 143 StGB eingeführt. Hiernach kann ein Verstoß gegen landesrechtliche Verbote der Züchtung, des Handels mit oder der Haltung ohne die erforderliche Genehmigung oder entgegen einer vollziehbaren Untersagung von bestimmten ihrer Art nach gefährlichen Hunden mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bewehrt werden.

1.4 Tierschutzgesetz

Die Durchführung des Tierschutzgesetzes und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen obliegt den nach Landesrecht zuständigen Behörden.

Das Tierschutzgesetz, das zuletzt im Jahr 1998 umfassend novelliert worden war, hat sich grundsätzlich bewährt. Durch die Änderungen, die am 1. Juni 1998 in Kraft traten (BGBl. I S. 1105, 1818), wurde der Tierschutz in Deutschland maßgeblich verbessert. Gleichzeitig wurde ein Beitrag zur EU-weiten Harmonisierung von Tierschutzvorschriften geleistet. Das Tierschutzgesetz ist im Internet einzusehen: http://www.bml.de unter "Tierschutz".

Im Rahmen des Gesetzes zur Bekämpfung gefährlicher Hunde wird das Tierschutzgesetz geändert. Das Gesetz sieht unter anderem eine Änderung des § 2a Abs. 1 TierSchG dahingehend vor, dass durch Rechtsverordnung ein Sachkundenachweis auch von privaten Tierhaltern, insbesondere Hundehaltern, verlangt werden kann, sowie in § 2a Abs. 1b - neu - TierSchG eine Ermächtigungsgrundlage für eine Verordnung über Vorschriften zur Kennzeichnung von Tieren vor. Ferner wird § 11b Abs. 5 TierSchG neu gefasst. Hiernach wird eine Ermächtigungsgrundlage für Rechtsverordnungen geschaffen, durch die das Züchten mit Wirbeltieren bestimmter Arten, Rassen und Linien verboten oder beschränkt werden kann, wenn dieses Züchten zu Verstößen gegen die Absätze 1 und 2 des § 11b TierSchG - Verbot von Qualzüchtungen einschließlich erblich bedingter Aggressionssteigerungen - führen kann. Außerdem wird in § 13a TierSchG als neuer Absatz 2 eine Ermächtigungsgrundlage eingefügt, wonach durch Rechtsverordnung eine obligatorische Prüfung von Stalleinrichtungen zum Halten landwirtschaftlicher Nutztiere sowie von beim Schlachten verwendeten Betäubungsanlagen vorgeschrieben werden kann. Das Gesetz zur Bekämpfung gefährlicher Hunde wird am Tag nach seiner Verkündung in Kraft treten. Mit der Verkündung ist noch im März 2001 zu rechnen.

1.5 Verordnungsermächtigungen

Das Tierschutzgesetz in der novellierten Fassung vom 25. Mai 1998 ermächtigt das BMVEL - teilweise ist das Einvernehmen mit anderen Ressorts vorgeschrieben -, nach Anhörung der Tierschutzkommission (§ 16b Abs. 1 TierSchG) durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates unter anderem in den Bereichen Haltung, Ausbildung, Transport, Schlachten, Tierversuche, Zucht und Handel nähere Vorschriften zu erlassen. Eine Aufzählung der bisher erlassenen Verordnungen findet sich im Anhang 2 Nr. 2.

Es können auch Vorschriften zur Durchführung von Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen des Rates oder der Kommission der Europäischen Gemeinschaften auf dem Gebiet des Tierschutzes erlassen werden (§ 21a TierSchG).

Mit dem Gesetz zur Bekämpfung gefährlicher Hunde wird § 21b TierSchG neu gefasst. Hiermit wird BMVEL ermächtigt, in bestimmten Fällen Rechtsverordnungen zum Schutz der Tiere auch ohne Zustimmung des Bundesrates zu erlassen.

1.6 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Tierschutzgesetzes

Zur Durchführung des Tierschutzgesetzes hat sich die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Tierschutzgesetzes (AVV), die auf Grund von § 16d TierSchG erlassen wurde, als sehr hilfreich erwiesen. Nach dem Urteil des BVerfG vom 2. März 1999 (BVerfGE 100, 249 ff.) müssen Allgemeine Verwaltungsvorschriften grundsätzlich von der Bundesregierung als Kollegium erlassen werden (Artikel 85 Abs. 2 Satz 1 GG). Die AVV konkretisiert das Tierschutzgesetz und gewährleistet seine einheitliche Anwendung.

Die AVV wurde infolge der Novellierung des Tierschutzgesetzes neu gefasst und datiert vom 9. Februar 2000. Sie ist im Bundesanzeiger (BAnz.) Nr. 36a vom 22. Februar 2000 veröffentlicht.

1.7 Sachverständigengutachten und Leitlinien

Seit 1970 wurden im Auftrag des BMVEL von anerkannten Sachverständigen zahlreiche Gutachten erarbeitet. Sie stehen allen interessierten Kreisen, nicht zuletzt auch den für den Vollzug des Tierschutzgesetzes verantwortlichen Stellen, als Orientierungshilfe zur Verfügung (siehe Anhang 3 Nr. 1). Darüber hinaus wurden für weitere Bereiche Leitlinien erarbeitet, die den Ländern sowie allen Interessierten zur Verfügung stehen (siehe Anhang 3 Nr. 2). Einige der Gutachten und Leitlinien sind im Internet (http://www.bml.de unter "Tierschutz") einzusehen.

1.8 Zuständigkeit von Bund und Ländern

Für die Rechtsetzung im Bereich des Tierschutzes besitzt der Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz (Artikel 74 Abs. 1 Nr. 20 GG), von der er durch das Tierschutzgesetz Gebrauch gemacht hat. Der Bund hat auch die Kompetenz zur Wahrnehmung des Tierschutzanliegens bei der Europäischen Union, beim Europarat, bei der OECD und anderen internationalen Organisationen, während der Vollzug und die Überwachung tierschutzrechtlicher Regelungen Länderangelegenheit sind. Über den Bundesrat wirken die Länder sowohl auf EU-Ebene als auch auf Bundesebene an der Gesetzgebung mit.

Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 TierSchG obliegt die Verwaltungszuständigkeit für die Durchführung dieses Gesetzes und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen den nach Landesrecht zuständigen Behörden. Die Länder führen das Tierschutzgesetz in eigener Verwaltungszuständigkeit aus (Artikel 83 GG). Dementsprechend hat der Bund auch keine Finanzierungszuständigkeit im Bereich des Tierschutzes nach Artikel 104a Abs. 1 GG, mit Ausnahme der Durchführung des Tierschutzgesetzes für Tiere im Bereich der Bundeswehr. Für diese Tiere obliegt nach § 15 Abs. 3 TierSchG die Durchführung des Gesetzes den zuständigen Dienststellen der Bundeswehr, deren Vollzugszuständigkeit durch Erlasse, zuletzt durch Erlass vom 16. Februar 2000 (Ministerialblatt des Bundesministeriums der Verteidigung 2000 S. 46), und durch die Verordnung über die Zuständigkeit der Wehrbereichsverwaltungen für die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten nach dem Tierschutzgesetz vom 3. Juli 1990 (BGBl. I S. 1399) geregelt ist.

Das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) hat für Tierversuche, die von Einrichtungen der Bundeswehr durchgeführt werden, eine Tierschutzkommission berufen. Darüber hinaus vergibt das BMVg Forschungsaufträge auch an zivile Einrichtungen. Mit Universitäten, Forschungseinrichtungen und anderen wissenschaftlichen Institutionen werden Forschungs- und Entwicklungsverträge zur Bearbeitung wissenschaftlicher Problemstellungen geschlossen. Daher wurde in den § 15 Abs. 3 des TierSchG bei der letzten Novellierung die Vorschrift aufgenommen, dass der BMVg-Tierschutzkommission vor Auftragserteilung zusätzlich zum üblichen Genehmigungsverfahren von Tierversuchen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben ist. Diese Stellungnahme ist der für die Forschungseinrichtung zuständigen Behörde der Länder auf Anforderung zuzusenden. Mit Tierversuchsvorhaben, die im Zusammenhang mit Forschungsaufträgen der Bundeswehr durchgeführt werden, befassen sich somit zwei Tierschutzkommissionen. Die Auftragserteilung erfolgt erst dann, wenn eine Versuchsgenehmigung der zuständigen Behörde vorliegt.

Die Anzahl der im Zusammenhang mit diesen Forschungsaufträgen eingesetzten Tiere hat sich von 4178 Tieren im Jahre 1989 auf 405 Tiere im Jahre 1999 reduziert.

Bund und Länder erörtern in regelmäßigen Sitzungen gemeinsam Fragen von grundsätzlicher Bedeutung, insbesondere bei der Vorbereitung von Rechtsetzungsvorhaben und zur Auslegung der rechtlichen Bestimmungen, um so die Ausführung der tierschutzrechtlichen Vorschriften zu koordinieren und möglichst einheitlich zu gestalten.

Mit der AVV vom 9. Februar 2000 wurden die Voraussetzungen für einen weitgehend bundeseinheitlichen Verwaltungsvollzug geschaffen. Die AVV findet auch im Geschäftsbereich des BMVg Anwendung.

1.9 Tierschutzkommission

Seit 1987 ist das BMVEL auf Grund § 16b TierSchG verpflichtet, zu seiner Unterstützung in Fragen des Tierschutzes eine Tierschutzkommission zu berufen und diese vor dem Erlass von Rechtsverordnungen und allgemeinen Verwaltungsvorschriften nach dem Tierschutzgesetz anzuhören. Die Tierschutzkommission kann auch in Eigeninitiative gegenüber dem Bundesministerium zu Fragen des Tierschutzes Stellung nehmen.

Die Einsetzung erfolgte durch die Tierschutzkommissions-Verordnung vom 23. Juni 1987 (BGBl. I S. 1557). Die Tierschutzkommission besteht aus zwölf Mitgliedern, die auf Vorschlag der Verbände sowie der beiden großen Kirchen vom Bundesminister für jeweils vier Jahre berufen werden. Im Jahr 2000 wurde turnusgemäß eine neue Tierschutzkommission berufen.

 

2 Internationale Rechtsetzung

Seit vielen Jahren werden tierschutzrechtliche Vorhaben nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch im Europarat sowie in der Europäischen Union beraten und entschieden. Auch die Beschlüsse der OECD können tierschutzrelevante Vorschriften maßgeblich beeinflussen.

Zwischen den verschiedenen Ebenen - Bund, Länder, Europäische Union, Europarat, OECD und WTO - besteht eine enge Wechselwirkung.

2.1 Europäische Union

Die Europäische Union als supranationale Organisation und der Europarat als internationale Organisation ohne Hoheitsgewalt sind getrennte Institutionen; zwischen ihnen besteht jedoch eine enge Zusammenarbeit.

Im Vertrag zur Gründung der EG (EGV) ist der Tierschutz nicht ausdrücklich erwähnt. Nach Artikel 3 Buchstaben e und h EGV umfasst die Tätigkeit der Gemeinschaft nach Maßgabe des Vertrages eine gemeinsame Politik auf dem Gebiet der Landwirtschaft und die Angleichung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften, soweit dies für das ordnungsgemäße Funktionieren des Gemeinsamen Marktes erforderlich ist. Die EG-Richtlinien zur Haltung landwirtschaftlicher Nutztiere, zum Schutz von Tieren beim Transport sowie zum Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Schlachtung oder Tötung sind auf Artikel 37 EGV (Landwirtschaft) gestützt. Als Rechtsgrundlage für den Erlass der Versuchstierrichtlinie wurde Artikel 94 EGV (Rechtsangleichung) herangezogen.

Der Tierschutz hat während der letzten Jahre auch im europäischen Rahmen eine größere politische Bedeutung erreicht. Nicht zuletzt auf Initiative der Bundesregierung wurde anlässlich der Regierungskonferenz zur Reform der Verträge in Amsterdam 1997 der Tierschutz nun im primären Gemeinschaftsrecht verankert.

In einem "Protokoll über den Tierschutz und das Wohlergehen der Tiere", das dem EGV angefügt ist, erklären die Mitgliedstaaten:

"Bei der Festlegung und Durchführung der Politik der Gemeinschaft in den Bereichen Landwirtschaft, Verkehr, Binnenmarkt und Forschung tragen die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten den Erfordernissen des Wohlergehens der Tiere in vollem Umfang Rechnung; sie berücksichtigen hierbei die Rechts- und Verwaltungsvorschriften und Gepflogenheiten der Mitgliedstaten insbesondere in Bezug auf religiöse Riten, kulturelle Traditionen und das regionale Erbe."

Für den Tierschutzbereich von Bedeutung sind auch die so genannten Veterinärkontrollrichtlinien, die der Rat zur Verwirklichung des Binnenmarktes erlassen hat. Ihr wesentliches Ziel besteht darin, die bisherigen Kontrollen an den Binnengrenzen der Gemeinschaft abzulösen und einheitliche Kontrollen der Mitgliedstaaten an den Außengrenzen der Gemeinschaft einzurichten. Dieses Kontrollkonzept geht für den innergemeinschaftlichen Verkehr vom Grundsatz der Verlagerung der Kontrollen auf den Abgangsort aus. Es erfordert eine intensive Zusammenarbeit der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten untereinander und mit der Europäischen Kommission. Die Richtlinien haben insbesondere Auswirkungen auf die Regelungen hinsichtlich des Transports von Tieren (siehe Abschnitt IX).

Informationen über die Rechtsakte der EG finden sich im Internet "http://www.europa.eu.int" unter den Stichwörtern Politikbereiche, Verbraucherpolitik und Gesundheitsschutz, 15.40 Tierschutz.

2.2 Europarat

Der Europarat mit Sitz in Straßburg umfasst zur Zeit 41 Mitgliedstaaten. Neben den 15 EU-Ländern sind dies Albanien, Andorra, Bulgarien, Estland, Georgien, Island, Kroatien, Lettland, Liechtenstein, Litauen, Malta, Mazedonien, Moldawien, Norwegen, Polen, Rumänien, Russland, San Marino, Schweiz, Slowakei, Slowenien, Tschechische Republik, Türkei, Ukraine, Ungarn und Zypern.

Schon früh ergriff der Europarat Initiativen zur Verbesserung des Tierschutzes. Bisher wurden im Bereich Tierschutz fünf völkerrechtliche Übereinkommen erarbeitet, nämlich

Hinzu kommen

Inhalt und Bedeutung dieser Übereinkommen werden in den Abschnitten III, IX, X und XIV erläutert.

Die Anwendung und Zweckmäßigkeit einer Revision dieser Übereinkommen wird durch so genannte Multilaterale Konsultationen geprüft, wobei dem zwischenzeitlich erweiterten Kenntnisstand der betroffenen Wissenschaftsbereiche Rechnung getragen wird.

Die Bundesrepublik Deutschland ist durch Vertragsgesetze den oben genannten Übereinkommen sowie dem Zusatz- und dem Änderungsprotokoll zum Europäischen Übereinkommen zum Schutz von Tieren in landwirtschaftlichen Tierhaltungen beigetreten. Sie hat das Änderungsprotokoll zum Versuchstierübereinkommen gezeichnet.

Wird ein Europäisches Übereinkommen ratifiziert, so hat dies zur Folge, dass - soweit dies noch nicht der Fall ist - das nationale Recht mit den Vorschriften des Übereinkommens in Einklang gebracht werden muss. Das deutsche Tierschutzrecht wurde entsprechend angepasst.

Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 6. Juli 1999 zur Hennenhaltungsverordnung hat die Bedeutung der Empfehlungen in Bezug auf Haushühner der Art Gallus gallus des Ständigen Ausschusses des Europäischen Übereinkommens zum Schutz von Tieren in landwirtschaftlichen Tierhaltungen in Deutschland breitere Aufmerksamkeit erfahren. Wichtige materielle Feststellungen dieses Urteils werden auf Bestimmungen der Empfehlung gestützt, deren Verbindlichkeit für den Verordnungsgeber betont wird.

Die Tierschutzübereinkommen finden Eingang in die nationale und EG-Rechtsetzung. Die Arbeit des Europarates ist somit von wesentlicher Bedeutung für eine europäische Harmonisierung der Tierschutzvorschriften und gleichzeitig auch der Wettbewerbsbedingungen.

Die Bundesregierung setzt sich daher für eine ausreichende finanzielle und administrative Ausstattung insbesondere des Ständigen Ausschusses des Europäischen Übereinkommens zum Schutz von Tieren in landwirtschaftlichen Tierhaltungen ein.

2.3 Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Die OECD mit Sekretariat in Paris wurde 1961 durch ein völkerrechtliches Übereinkommen gegründet, u. a. mit dem Ziel, durch wirtschaftliche Zusammenarbeit ihrer Mitgliedsländer wie auch durch intensiven Dialog mit Nichtmitgliedsländern einen Beitrag zur Entwicklung im Zeitalter der Globalisierung zu leisten. Mittlerweile gehören der Organisation 30 Mitgliedstaaten an (Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Island, Italien, Kanada, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden, Schweiz, Slowakische Republik, Spanien, Türkei, Vereinigte Staaten, Japan, Finnland, Australien, Neuseeland, Mexiko, Tschechische Republik, Ungarn, Republik Korea und Polen).

Mit dem Ziel, eine Verbesserung der Chemikaliensicherheit zu unterstützen und den Chemikalienkontrollmaßnahmen mehr Transparenz und Effizienz zu verleihen, hat die OECD 1971 ein Chemikalienprogramm aufgestellt, in dessen Rahmen auch Richtlinien zur Prüfung chemischer Substanzen unter anderem im Hinblick auf ihre toxischen Effekte für Mensch und Umwelt verabschiedet wurden. Bereits 1981 hat die OECD in ihren Richtlinien tierexperimentelle Prüfmethoden einschließlich genauer Durchführungsbestimmungen festgeschrieben (OECD Guidelines for the Testing of Chemicals; OECD Principles of Good Laboratory Practice and Compliance Monitoring). Die Beachtung der OECD-Empfehlungen bei der Stoffprüfung garantiert die internationale Anerkennung der Prüfergebnisse, so dass unnötige Wiederholungen von Tierversuchen vermieden werden.

Die OECD-Richtlinien, die in unregelmäßigen Abständen aktualisiert und ergänzt werden, finden inzwischen über den Bereich der Industriechemikalien hinaus Anwendung bei der Prüfung von Pflanzenschutzmitteln, Lebensmitteln und Bedarfsgegenständen; sie haben somit zu einer weitreichenden Harmonisierung toxikologischer Prüfmethoden geführt. Ausführliche Informationen zum Chemikalienprogramm der OECD finden sich im Internet unter http://www.oecd.org/ehs/.

2.4 World Trade Organization

Das Thema Tierschutz wird bei den WTO-Fortsetzungsverhandlungen eine bedeutende Rolle spielen. Für die Bundesregierung ist es wichtig, dass im Agrarbereich neben den klassischen Verhandlungsfeldern Marktzugang, internes Stützungsniveau und Exportsubventionen auch die so genannten nicht handelsbezogenen Anliegen, wozu auch der Tierschutz gehört, angemessen berücksichtigt werden.

Bei den Tierschutzstandards handelt es sich um verfahrensgebundene Standards, die in der Regel keine Auswirkungen auf die Qualität und die Beschaffenheit von Produkten haben. Nach der gegenwärtigen Rechtslage im Bereich der WTO sind Differenzierungen zwischen Produkten nach den angewendeten Produktionsverfahren im Wesentlichen unzulässig. Dieser Grundsatz gilt insbesondere dann, wenn nicht wenigstens im Grundsatz weltweiter Konsens über das Erfordernis des Schutzes eines bestimmten Rechtsgutes besteht. Auf Grund des auch kulturell bedingten international sehr unterschiedlichen Niveaus des Tierschutzes kann in den meisten Fällen vom Vorliegen eines solchen Konsenses jedoch nicht ausgegangen werden.

Handelsbeschränkende Maßnahmen im Hinblick auf tierschutzrechtliche Standards dürften in diesem Zusammenhang nach dem geltenden WTO-Recht unzulässig sein. Ohne einen geeigneten internationalen Rahmen können die bestehenden Tierschutzstandards, insbesondere bei der landwirtschaftlichen Tierhaltung unterlaufen werden, weil Produzenten aus Ländern mit vergleichsweise niedrigen Tierschutzstandards Wettbewerbsvorteile haben.

Der Rat (Agrarrat vom 20./21. November 2000 und Allgemeiner Rat vom 4./5. Dezember 2000) hat deshalb in die Verhandlungsvorschläge für die Fortsetzungsverhandlungen zum WTO-Agrarabkommen Vorschläge für die internationale Absicherung des Wohlergehens der Tiere aufgenommen. Die EG schlägt vor, die Kriterien für Maßnahmen, die unter die so genannte Green Box fallen, zu überprüfen, um sicherzustellen, dass der Handel so wenig wie möglich verzerrt wird und gleichzeitig die Maßnahmen angemessen erfasst werden, die zur Erreichung wichtiger gesellschaftspolitischer Ziele wie dem Tierschutz beitragen. Im Einzelnen fordert die EG

Tierschutz ist gerade im internationalen Zusammenhang ein äußerst komplexer Themenbereich, in dem sich ökonomische, ethische, tiergesundheitliche, produktionstechnische und juristische Fragestellungen überschneiden. Auch wenn die Bedeutung, die international dem Tierschutz beigemessen wird, sehr unterschiedlich ist, ist er gleichwohl ein immer wichtiger werdendes handelspolitisches Thema.

Informationen über die WTO finden sich im Internet unter http://www.wto.org.

 

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