Ein Oscar in der Neurologie

Prof. Dr. Thomas Gasser lieferte sich in der Suche nach neuen Parkinsongenen ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem amerikanischen Forscher Andrew Singleton. Jetzt erhielten sie zusammen mit ihrer Kollegin Ellen Sidransky den Breakthrough Prize. Die Auszeichnung würdigt ihre wegweisende Entdeckung genetischer Risikofaktoren für die Parkinson-Krankheit.

Thomas Gasser war 33 Jahre alt und Postdoc, als ihm ein in der Neurogenetik führender Wissenschaftler sagte: „Die Ursachen von Parkinson liegen nicht in der Genetik. Er verschwende seine Zeit." Damals gingen die Meinungen über die Ursachen der Krankheit stark auseinander, vieles war unklar. 33 Jahre später – im Jahr 2024 – läuft Prof. Dr. Thomas Gasser, Leiter der Abteilung Neurologie am Universitätsklinikum Tübingen und Vorstandsvorsitzender des Hertie-Instituts für klinische Hirnforschung, über einen roten Teppich, vorbei an den Blitzlichtern der Fotografen und Fotografinnen auf ein Podium.

Richard Youle (Preisträger 2021) zusammen mit Ellen Sidransky, Thomas Gasser und Andrew Singleton, die 2024 mit dem Breakthrough Prize in der Kategorie Life Sciences ausgezeichnet wurden (v.l.n.r.) © Getty Images for Breakthrough Prize

Zusammen mit Andrew Singleton und Ellen Sidransky hat er den Breakthrough Prize in den Lebenswissenschaften gewonnen – den mit drei Millionen Dollar dotierten „Oscar“ für die Wissenschaft. Die drei haben gezeigt: Bestimmte Mutationen im Erbgut erhöhen das Risiko für Parkinson. Einige lösen die Erkrankung sogar unausweichlich aus. Mit dieser Erkenntnis haben die Teams den Weg für die Entwicklung von neuen Therapien geebnet – denn bislang ist die Krankheit unheilbar. 

Mindestens 200.000 Menschen leiden in Deutschland an Parkinson. Meist offenbart sie sich um das 60. Lebensjahr mit zittrigen Händen. Nervenzellen, die Dopamin produzieren, sterben ab. Dadurch werden Bewegungen langsamer und Muskeln können nicht mehr richtig angesteuert werden. Das Gleichgewicht ist gestört, die Muskeln versteifen. Manche Patienten und Patientinnen entwickeln eine Demenz. Je nach Form und Schweregrad verkürzt sich die Lebenserwartung um vier bis elf Jahre. Medikamente können die Symptome nur für eine gewisse Zeit unterdrücken. 

Die Preisträger erhielten ihre Auszeichnungen im Rahmen eines Galaabends in Los Angeles. Die beiden Laudatoren waren niemand geringes als Schauspieler Rob Lowe (2. von links) und Google-Mitgründer Sergey Brin (6. von links) © Getty Images for Breakthrough Prize

Dass sich das im nächsten Jahrzehnt ändern könnte, dafür haben unter anderen Thomas Gasser und Andrew Singleton mit ihrer Veröffentlichung in „Neuron“ im Jahr 2004 den Grundstein gelegt. Sie zeigten, dass eine Mutation im LRRK2-Gen für einen Teil der Fälle verantwortlich sein kann. Heute weiß man, dass Varianten in diesem Genbereich generell das Risiko erhöhen, an Parkinson zu erkranken. Doch bis zu dieser Erkenntnis war es ein langer Weg. Bereits im Jahr 1997 wurde die erste Mutation entdeckt, die für einen Ausbruch von Parkinson verantwortlich ist. Das SNCA-Gen produziert ein Protein namens α-Synuclein, das unter anderem die Ausschüttung von Dopamin reguliert. Wenn sich an Position 53 statt Alanin die Aminosäure Threonin befindet, hat das eine toxische Wirkung. Damit war der Beweis erbracht, dass Parkinson genetische Ursachen haben kann, allerdings nur für eine bestimmte Form der Krankheit – und damit auch nur für eine Minderheit der Betroffenen. Menschen mit dieser Mutation zeigen im Gegensatz zur Mehrheit bereits mit Mitte 50 erste Symptome. Die Krankheit bricht früher aus und verläuft schwerer.

Thomas Gasser beschäftigte sich zu dieser Zeit ebenfalls mit den Ursachen der Parkinson-Krankheit. Im Jahr 2002 erhielt er unter anderem unter anderem dafür eine Professur an der Medizinischen Fakultät Tübingen. „Ich hatte großes Glück, dass ich diese Möglichkeit bekam und meine Arbeit an diesem Standort vorantreiben konnte", sagt er. Um die Jahrtausendwende glich Forschung in der Genetik oft noch der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Sie war geprägt von Konkurrenz, schlaflosen Nächten, Ehrgeiz und Idealen. „Das war Handarbeit", sagt Gasser. Damals wurde mit Gussgelen und radioaktiven Markierungen gearbeitet. Und unter enormen Zeitdruck – denn nur wer das Gen mit der Mutation zuerst entdeckte, erntete den Ruhm und konnte seine Karriere voranbringen. Auch Gasser und Singleton waren einst Konkurrenten. Nur Gerüchte über die Fortschritte der jeweils anderen Forschungsgruppe ließen sie erahnen, wer das Rennen gewinnen würden. Was sie wussten: Beide suchten nach Mutationen in den Genen in einer Region des Chromosoms 12, das mit der Parkinson-Krankheit in Verbindung gebracht wurde. Untersuchungen an Familien, deren Mitglieder über mehrere Generationen hinweg erkrankt waren, hatten bereits einen Zusammenhang gezeigt.

Dann bat das Team um Singleton um eine schnelle Veröffentlichung. „Wir wussten nur vom Hörensagen davon", erzählt Gasser. „Deshalb beschlossen wir, unsere Ergebnisse früher als geplant zu veröffentlichen." Und tatsächlich: Beide Gruppen hatten das gleiche Gen gefunden: das LRRK2-Gen. „Das war der endgültige Beweis, dass unsere Entdeckung kein Zufall war, sondern dass wir das richtige Gen identifiziert hatten", sagt Gasser. Mit der Zeit wurden aus den Rivalen Verbündete, die nicht mehr konkurrieren, sondern gemeinsam die Rätsel um die Parkinson-Krankheit lösen wollen. Im Global Parkinson Genetics Program (GP2) arbeiten sie heute mit Partnern rund um den Globus daran, den untersuchten Genpool von europäisch-stämmigen Menschen auf Betroffene weltweit zu erweitern. Da Genmutationen vererbt werden, treten sie unterschiedlich oft und in manchen Gruppen gehäuft auf, etwa die LRRK2 Mutation bei den aschkenasischen Juden. Und sie arbeiten an Therapien – beispielsweise an Hemmstoffen für die LRRK2-Kinease. Gasser ist sich sicher: „Wir werden den Verlauf der Krankheit schon bald  verlangsamen können, vielleicht sogar ihren Ausbruch in einigen Fällen ganz verhindern."

Der mit einem Preisgeld in Höhe von drei Millionen US-Dollar verbundene Breakthrough Prize in Life Science gilt als höchstdotierte Auszeichnung in den Lebenswissenschaften. Thomas Gasser ist der erste Tübinger Wissenschaftler, der mit der Auszeichnung gewürdigt wurde. © Getty Images for Breakthrough Prize