Institut für Physiologie
Vegetative und Klinische Physiologie

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Forschungsgruppe Signalwege und Relevanz der Zytokin-induzierten Seneszenz

Das Konzept der Seneszenz beschreibt die mit Beginn des Lebens eintretende Alterung multizellulärer Organismen. Wie für die Entstehung von Tumoren beschrieben (Hanahan und Weinberg, 2011) wurden analog auch für die Alterung von Organismen bestimmte biologische Kennzeichen („Hallmarks“) gefunden. Dabei gilt die zelluläre Seneszenz als eine der wichtigsten „Hallmarks“ (Lopez-Otin et al., 2013). Neben seiner Bedeutung für die Gewebsalterung und -fitness (Baker et al., 2011) und für die Embryogenese (Munoz-Espin et al., 2013) spielt die zelluläre Seneszenz auch bei der Tumorentstehung eine große Rolle (Michaloglou et al., 2005). Die seneszente Zelle zeigt einen dreigeteilten Phänotyp: sie weist (i) einen permanenten Wachstumsarrest, (ii) eine Apoptoseresistenz und (iii) einen Seneszenz-assoziierten sekretorischen Phänotyp (SASP) auf. Ein Beispiel für eine postmitotische aber trotzdem alternde Zelle stellt der kernlose Erythrozyt dar. Interessanterweise sind alternde Eythrozyten anfälliger für den Stress-induzierten, programmierten Erythrozytentod (Eryptose) (Ghashghaeinia et al., 2012). Es liegt somit auf der Hand, dass es zwischen verschiedenen Formen der Seneszenz und verschiedenen Formen des Zelltods, wie z. B. der Eryptose, Überschneidungen gibt.

Die genaue Kenntnis der molekularen Vorgänge während der Seneszenz ist wegen der notwendigen Aussortierung der gealterten und teilweise auch geschädigten, seneszenten Zellen besonders wichtig. Hier ist zu beachten, dass insbesondere der SASP durch die Sekretion löslicher Wachstumsfaktoren und Chemokine sogar einen protumoralen Einfluss haben kann und damit als potentiell gefährlich einzuschätzen ist (Campisi, 2013).

Mit der Zytokin-induzierten Seneszenz (ZIS; Braumüller et al., 2013) wurde das oben beschriebene Konzept um eine wichtige Komponente erweitert, nämlich um die extrinsische, Rezeptor-vermittelte Induktion der zellulären Seneszenz (Wieder et. al., 2017).

Die ZIS ist in der Zwischenzeit als biologischer Mechanismus bestätigt worden, wobei als wichtige proseneszente Zytokine Transforming Growth Factor-β (TGF-β), Interferon-γ (IFN-γ) und Tumornekrosefaktor (TNF) nachgewiesen wurden (Reimann et al., 2010; Hubackova et al., 2016). Außerdem ist es gelungen, humane Tumorzellen durch eine Interleukin-12 (IL-12)-abhängige Immunreaktion auch in vivo in die Seneszenz zu treiben und dadurch das Tumorwachstum zu kontrollieren (Schilbach et al., 2015). Das ursprünglich nur in RIP-Tag2 Mäusen beschriebene Immunzellen-getriggerte Therapieprinzip (Müller-Hermelink et al., 2008; Braumüller et al., 2013) konnte somit auf humane Tumorzellen übertragen werden.

Die Immuntherapie von Tumoren hat seit dem Nachweis der klinischen Wirksamkeit der Immun-Checkpoint-Inhibitoren bei der Behandlung des metastasierenden Melanoms (Robert et al., 2011) einen großen Aufschwung erfahren (Wieder et al., 2016). Bei dieser neuartigen Therapieform scheinen auch nichttoxische Prinzipien wie die ZIS zu wirken (Wieder et al., 2016, 2017, 2018). Darauf deuten auch klinische Befunde hin, die zeigen, dass Patienten mit einem Rückfall der Erkrankung nach einer Immuntherapie häufig Mutationen im Interferon-Signalweg haben (Zaretsky et al., 2016).

Als wichtige molekulare Schalter bei der Onkogen- und der Doxorubicin-induzierten Seneszenz wurde das Argonautenprotein Ago2 beschrieben (Benhamed et al., 2012). In der Arbeitsgruppe konnten wir die Rolle dieses transkriptionsregulierenden Proteins in der ZIS bestätigen. Auch bei der ZIS kommt es zu einer Translokation von Ago2 in den Nukleus von Tumorzellen, wobei die Ago2-Translokation vor allem in den ersten 48 h nach Induktion ein Plateau erreicht. Weitere Arbeiten mit Ago2-siRNA zeigten zudem, dass insbesondere etliche Zellzyklusgene im Verlauf der ZIS durch Ago2 reguliert werden (Rentschler et al., 2018). Hier sind in Zukunft noch weitere Analysen notwendig, um den funktionellen Einfluss von Ago2 und anderen Transkriptionsfaktoren wie z. B. JunB auf den Zellzyklus und die Proliferation nachzuweisen. Auch die Rolle definierter posttranslationaler Modifikationen (wie z.B. Rezeptor-vermittelter Phosphorylierungen) wird zu analysieren sein.