Key visual 60 1965-2025


Leuchtturm für Prävention und gesunde Arbeit Das IASV feierte seinen 60. Geburtstag

Nachbericht zum Jubiläumssymposium

Nachbericht zum Jubiläumssymposium

Nähe zur Praxis, Exzellenz in der Forschung – und ein Modell für die Zukunft. Das Jubiläumssymposium des Instituts für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Versorgungsforschung (IASV) zeigte: Arbeitsmedizin, die wissenschaftlich fundiert und zugleich praxisnah ist, bleibt entscheidend für gesunde Beschäftigung. Die Festveranstaltung am 11. September am Universitätsklinikum Tübingen war eingebettet in die internationale Fachkonferenz PREMUS 2025. Gäste aus Fakultät, Klinikum, Politik und Wirtschaft blickten zurück auf die Geschichte des 1965 gegründeten Instituts, das seit 2008 dank der institutionellen Förderung durch Südwestmetall, den Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg, ein bundesweit einzigartiges Modell verfolgt.

Das Jubiläumsjahr öffnet neue Horizonte für das IASV: Das Auslaufen der aktuellen Förderperiode 2028 ermöglicht, die Finanzierung breiter aufzustellen. Die Redebeiträge betonten daher auch die Chancen des Tübinger Modells für künftige Partner aus der Wirtschaft: In einer Zeit wachsender Anforderungen an gesunde Arbeit bietet es direkten Zugang zu exzellenter Forschung und konkrete Antworten für die Praxis.

Gründung 1965 – Weichenstellung in den 2000er Jahren

Institutsdirektorin Professorin Monika A. Rieger skizzierte die Entwicklung: Nach einer Initiative des Landtags von Baden-Württemberg hatte die Medizinische Fakultät den ersten Lehrstuhl für Arbeitsmedizin in der Bundesrepublik eingerichtet, 1965 nahm das Institut mit der Berufung von Professor Heinz Weichardt seine Arbeit auf. Nach ersten Jahren in einem Wohnhaus erfolgte 1977 der Umzug in die heutigen Räume in der Wilhelmstraße, wo unter anderem mit einer Expositionskammer Maßstäbe in der Gefahrstoffforschung gesetzt wurden.

Nach der Jahrtausendwende drohte das Aus, nachdem auch die Schließung der Lehrstühle für Arbeitsmedizin in Ulm und Heidelberg beschlossen worden war. „Aber dann geschah etwas, was damals sehr innovativ und bis heute außergewöhnlich ist“, berichtete Rieger. „Auf Initiative einiger leitender Betriebs- und Werksärzte entschied sich der Unternehmerverband Südwestmetall, den Fortbestand des Instituts durch eine institutionelle Förderung zu sichern.“ Seit 2008 übernehmen Südwestmetall und die Medizinische Fakultät zu gleichen Teilen die Grundfinanzierung. „Es entstand ein Institutstypus, der bis heute einzigartig ist: praxisnah, methodisch exzellent und hochschulgebunden.“ Dafür dankte Rieger dem anwesenden Hauptgeschäftsführer von Südwestmetall, Oliver Barta, sowie der Medizinischen Fakultät, dem Universitätsklinikum und der Universität Tübingen für die damals innovative Konzeption und die nun langjährige, erfolgreiche Gestaltung der Kooperation.

Werkstore für die Wissenschaft geöffnet

Portraitfoto

„Das Institut hat sich hervorragend entwickelt“.

Professor Thomas Gasser

Professor Thomas Gasser, Prodekan Forschung und Stellvertreter des Dekans der Medizinischen Fakultät, hob hervor: „Das Institut hat sich hervorragend entwickelt, mit hochrangigen Forschungsprojekten, sehr gut evaluierten Lehrveranstaltungen und einer konsequent präventiven Ausrichtung.“ Die Partnerschaft zwischen Institut und Industrie sei „ein außerordentlicher Glücksfall, sowohl für die Universitätsmedizin am Standort Tübingen als auch für die Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg.“

Südwestmetall habe der Wissenschaft „Werkstore geöffnet“. Das Institut profitiere von wichtigen Impulsen für Forschungsthemen und konnte sich zu einer Schnittstelle zwischen Spitzenforschung und betrieblicher Praxis entwickeln. Gleichzeitig habe der Verband stets respektiert, dass freie Forschung ergebnisoffen sein muss, wenn sie wirksam sein soll.

Mit Blick auf das Auslaufen des Vertrags 2028 wies Gasser darauf hin, dass das IASV die letzte Einrichtung dieser Art in Baden-Württemberg ist. In der wirtschaftlich stärksten Region Deutschlands sei dies mit Sorge zu betrachten. Er würdigte das Engagement Südwestmetalls dafür, neue Partner zu gewinnen und appellierte an Wirtschaft, Politik und Wissenschaft, einen Beitrag zum Erhalt zu leisten. Dies biete die Chance, die Themenvielfalt des Instituts, aber auch die Vernetzung mit der baden-württembergischen Wirtschaft auszuweiten.

Arbeitsmedizin erreicht Menschen direkt

Arbeitsmedizin erreicht Menschen direkt

Die internationale Strahlkraft des Instituts unterstrich Professor Jens Maschmann, Leitender Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des Universitätsklinikums Tübingen. Diese zeige die Tübinger PREMUS 2025-Konferenz mit Teilnehmenden aus der ganzen Welt. „Arbeitsmedizin hat eine zentrale Rolle für die Gesellschaft, weil sie Gesundheit und Wohlbefinden direkt am Arbeitsplatz schützt, ohne dass Menschen erst eine Praxis oder ein Krankenhaus aufsuchen müssen.“

Maschmann teilte eine Erfahrung, die er als Student vor rund 30 Jahren bei einer Exkursion zu einem Automobilhersteller gemacht hatte. Schon damals habe der Betriebsarzt darauf hingewiesen, wie Betriebsmedizin Anstrengungen unternehmen müsse, um auf sich wandelnde Belastungen zu reagieren. „Wir haben es seitdem geschafft, immer wieder neue Antworten zu finden. Das lässt mich mit einer gewissen Zuversicht in die Zukunft blicken.“

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„Arbeitsmedizin hat eine zentrale Rolle für die Gesellschaft“.

Professor Jens Maschmann

Wissenschaftliche Grundlagen auch für politische Entscheidungen

Institutsvertreterinnen und -vertreter engagieren sich seit Jahren in unterschiedlichen wissenschaftlichen und beratenden Gremien auf Bundes- und Landesebene sowie in der Leitlinienarbeit und bringen sich in die Arbeit von Fachgesellschaften ein.

Diese wichtige Rolle in der Gremienarbeit würdigte Dr. Janice Hegewald von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), die Präsidentin Isabel Rothe vertrat, als besonderes Merkmal des IASV. „Wissenschaftliche Erkenntnisse müssen nicht nur veröffentlicht, sondern auch in gesellschaftliche und politische Diskurse eingebracht werden. Hier hat sich Ihr Institut in den vergangenen Jahren einen hervorragenden Ruf erarbeitet.“

Ministerin Dr. Hoffmeister-Kraut: Gesundheit als Garant für sicheren Wohlstand

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„Gesunde Beschäftigte bilden das Fundament für die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens“.

Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut MdL

Foto: Katja Bartolec

Ministerin Dr. Hoffmeister-Kraut:
Gesundheit als Garant für sicheren Wohlstand

Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut MdL, Ministerin für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus in Baden-Württemberg, wandte sich per Videogruß an die rund 150 Gäste. „Wenn im Jahre 1965 jemand gesagt hätte, dass sich das Institut heute mit den Themen Exoskelette, Digitalisierung oder gar Künstliche Intelligenz befassen würde, hätte man wohl eher an ein Science-Fiction-Szenario gedacht. Aber das sind, unter vielen anderen, die Themen, mit denen wir uns heute in der Arbeitswelt beschäftigen.“ Die Ministerin wies darauf hin, dass über die Hälfte der Menschen im Land Erwerbstätige sind und die Forschung des Instituts wesentlich dazu beiträgt, die Herausforderungen für Unternehmen und Beschäftigte bei der Gestaltung gesunder Arbeitsbedingungen zu bewältigen. „Gesunde Beschäftigte bilden das Fundament für die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens. Gesundheit ist demnach Garant für die Sicherung unseres Wohlstandes.“ Und weiter: „Um all diese Herausforderungen zu meistern, bedarf es großer Fachkompetenz im Land, die Sie gemeinsam mit Ihrem Team in Form von Netzwerkarbeit mit verschiedenen Akteuren im Arbeitsschutz und der Arbeitsmedizin zum Beispiel in Form von fachlichen Austauschen, Informationsveranstaltungen und Weiterbildungsangeboten ermöglichen.“ Auch Hoffmeister-Kraut dankte dem Arbeitgeberverband Südwestmetall für die Förderung dieser Arbeit.

Prävention bei arbeitsbedingten Belastungen macht für Arbeitgeber Sinn

„Vorbeugen ist besser als Heilen“, sagte Oliver Barta, Hauptgeschäftsführer von Südwestmetall. „Natürlich geht es zuerst um das Wohl des Einzelnen – zugleich haben auch Arbeitgeber ein großes Interesse an gesunden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Jede Krankheit, jeder Ausfall kostet Leistung, kostet Geld – und darauf reagieren Unternehmer bekanntlich sensibel. Gerade deshalb ergibt Prävention bei arbeitsbedingten Belastungen besonders viel Sinn.“

Während das Tübinger Institut stets einen wichtigen Beitrag dazu geleistet habe, Arbeit gesünder zu machen, habe die politische Unterstützung für die Arbeitsmedizin abgenommen, blickte Barta zurück. „Dem konnten und wollten wir nicht tatenlos zusehen.“ Mit der Entscheidung für eine institutionelle Förderung habe man als Unternehmerverband dazu beitragen wollen, das Institut zu sichern, Lehre und Forschung in der Arbeitsmedizin zu erhalten und eine Brücke in die Praxis zu schlagen.

Betriebsärztlichen Nachwuchs sichern

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„Vorbeugen ist besser als Heilen“.

Oliver Barta

Foto: Südwestmetall

„Die Förderung hatte für uns auch einen ganz praktischen Aspekt: Es war und ist schwierig, ausreichend qualifizierte Betriebsärztinnen und Betriebsärzte zu finden. Umso wichtiger ist eine Arbeitsmedizin, die attraktive Weiterbildung bietet, Forschung verantwortet und konkrete Lösungen für die betriebliche Praxis entwickelt.“ Der Kooperationsvertrag habe sich als tragfähig erwiesen, weil er gleichermaßen den Anspruch auf Forschung auf hohem methodischem Niveau sowie eine enge Orientierung an der betrieblichen Praxis formuliert.

Das zahle sich aus: „Hier werden Beiträge geleistet, die Arbeit gesünder machen, betriebsärztliche Versorgung wissenschaftlich fundieren und so die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft stärken, von Belastungsschätzungen und Schichtarbeit über die Rolle von Muskel-Skelett-Erkrankungen bis hin zu ganz praktischen Fragen während der Corona-Pandemie – etwa zur Impfstrategie oder zum Maskentragen.“

Nun gelte es, die Finanzierung breiter aufzustellen. „Das soll weitere Branchen erschließen, Kontakte auch jenseits der klassischen Industrie ermöglichen und dem Institut neue Spielräume eröffnen.“

Kein Elfenbeinturm, sondern Leuchtturm

Kein Elfenbeinturm, sondern Leuchtturm

Das in der Präambel des ersten Kooperationsvertrags mit Südwestmetall formulierte Ziel, die „Sprachlosigkeit“ zwischen akademischer Forschung und praktischer Arbeitsmedizin zu überwinden, sei erfüllt, sagte IASV-Leiterin Rieger. Als Erfolgsfaktoren nannte sie neben der im Vertrag verankerten Praxisnähe die regelmäßige und konstruktive Beratung durch das paritätisch besetzte Kuratorium. Hier wirken Professorinnen und Professoren verschiedener Disziplinen und Praktiker aus Betrieben auf Augenhöhe zusammen – eine Gestaltungschance auch für künftige Partner aus der Wirtschaft, so Rieger.

Auch in Zukunft wolle man „kein akademischer Elfenbeinturm, sondern ein Leuchtturm“ sein, für exzellente Forschung und Ausbildung und gleichzeitig als verlässlicher Partner für Gesellschaft und Wirtschaft.

Forschungsbeiträge beim Jubiläumssymposium

„Auch in Zukunft wollen wir kein akademischer Elfenbeinturm, sondern ein Leuchtturm sein“.

Professorin Monika A. Rieger