Vestibularisschwannom (Akustikusneurinom) Diagnostik und Therapie an der Neurochirurgischen Universitätsklinik

Vestibularisschwannom (Akustikusneurinom)

Das Vestibularisschwannom (Akustikusneurinom) bezeichnet eine gutartige, langsam wachsende Geschwulst der Nervenscheiden des Gleichgewichts- und Gehörnervs (Nervus vestibulocochlearis).

Es handelt sich um eine Neubildung im Bereich des peripheren Nervensystems, also nicht um einen Gehirntumor im engeren Sinn.

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Die 3 häufigsten Symptome eines Vestibularisschwannoms sind :

In etwa 10 %
wächst der Tumor rasch und sollte daher behandelt werden
1–1,5 Personen
von 100 000 Personen erkranken jährlich

Was ist ein Vestibularisschwannom?

Was ist ein Vestibularisschwannom?

Das Vestibularisschwannom ist ein gutartiger Tumor am Gleichgewichts- und Hörnerv. Die Inzidenz von Vestibularisschwannomen liegt bei 1 Fall pro 100.000 Einwohnern pro Jahr. Damit ist das Vestibularisschwannom (auch als Akustikusneurinom (AKN) bezeichnet) zwar der häufigste Tumor im Kleinhirnhirnbrückenwinkel, im Vergleich zu anderen Erkrankungen handelt es sich aber um eine relativ seltene Tumorart. Das Vestibularisschwannom geht von den Schwann-Zellen des vestibulären Anteil des Nervus vestibulocochlearis (8. Hirnnerven) aus, der Informationen vom Gleichgewichtsorgan an das Gehirn vermittelt. Die klassischen Beschwerden bei Vorliegen eines Vestibularisschwannoms sind Schwindel, Hörminderung und Tinnitus. Aufgrund des Leitsymptoms eines Hörsturzes ging man früher davon aus, dass der Tumor vom Hörnerven ausging.

Kuchendiagramm zur Verteilung
Verteilung der Häufigkeiten der Tumorarten im Kleinhirnbrückenwinkel. Das Vestibularisschwannom ist die häufigste Tumorart in dieser Lokalisation.

Welche Symptome verursachen Vestibularisschwannome?

Der Tumor geht vom vestibulären Anteil des Nervus vestibulocochlearis (VIII. Hirnnerven) aus, der Informationen vom Gleichgewichtsorgan an das Gehirn vermittelt. Der VIII. Hirnnerv verläuft zusammen mit dem Nerv für Gesichtsbewegungen (VII. Hirnnerv) vom Hirnstamm in den inneren Gehörgang im Felsenbein. Meist beginnt das Wachstum des Tumors im inneren Gehörgang. Mit zunehmendem Wachstum dehnt sich das Vestibularisschwannom in den Kleinhirnbrückenwinkel in Richtung Hirnstamm aus. Da es sich um gutartige, langsam wachsende Tumoren handelt, werden die angrenzend liegenden Nerven und Gefäße vom Tumor verlagert. Kleine Vestibularisschwannome können asymptomatisch sein und werden nicht selten als Zufallsbefund bei der Durchführung einer Magnetresonanztomografie des Schädels entdeckt. Das häufigste Erstsymptom ist jedoch eine Hörminderung, Hörsturz oder Tinnitus. Schwindel kann auch schwach bis mittel stark ausgebildet sein. Die meisten Patienten berichten über einen leichten Schwindel, der wenige Tage anhält. 


Wenn die Tumoren groß sind, können auch Taubheitsgefühle im Gesicht, eine Gesichtsnervenlähmung, Gang- und Koordinationsstörungen und eine Halbseitensymptomatik auftreten. Wird der Tumor sehr groß, kommt es zu einer Behinderung der Nervenwasserzirkulation (Verschlusshydrozephalus). Der hierdurch bedingte Hirndruck führt zu Kopfschmerzen, Erbrechen und Bewusstseinsstörungen bis hin zu einer lebensbedrohlichen Situation.

Die 3 häufigsten Symptome eines Vestibularisschwannoms sind:
Magnetresonanzbildgebung mit der Beziehung des Tumors mit der Umgebung
Diese Abbildung zeigt eine Magnetresonanzbildgebung mit der Beziehung des Tumors mit der Umgebung (Kleinhirn, Hirnstamm, IV. Ventrikel und der innere Gehörgang). In diesem Beispielfall beginnt der Tumor nicht tief im inneren Gehörgang. Oft ist bei so einem Fall das Hören besser erhalten.
98 %
langsamer Hörverlust
70 %
Tinnitus
70%
Schwindel

Wie werden Vestibularisschwannome diagnostiziert?

Die vollständige präoperative Diagnostik umfasst außer einer gründlichen Erhebung der Krankengeschichte und einer umfassenden klinischen Untersuchung:

  • Reintonaudiogramm, Sprachdiskriminationstest, akustisch evozierte Potenziale (AEP)
  • MRT (Magnetresonanztomographie) mit Kontrastmittel
  • Hochauflösendes CT des Knochens der hinteren Schädelgrube und des Felsenbeins (Abb.3)
  • Echokardiographie mit Bubble-Test zum Ausschluss eines PFO (falls OP in halbsitzender Position). 
Vestibularisschwannom MRI

Vestibularisschwannome werden nach deren Größe in KOOS oder HANNOVER klassifiziert (siehe unten). Die HANNOVER Klassifikation ist etwas detaillierter und unterscheidet auch unterschiedliche Typen an großen Vestibularisschwannomen.

KOOS-Grad I

HANNOVER Klassifikation T1

Kleiner intrakanalikulärer Tumor, der sich lediglich im inneren Gehörgang (Meatus acusticus internus) befindet.

Bildbeispiel

KOOS-Grad II

HANNOVER Klassifikation T2

Zusätzliches Vorschieben des Tumors in den Kleinhirnbrückenwinkel

Bildbeispiel

KOOS-Grad III

HANNOVER Klassifikation T3a

Ausfüllen des Tumors in der cerebellopontinen Zisterne

Bildbeispiel

KOOS-Grad III

HANNOVER Klassifikation T3b

Kontakt zum Hirnstamm aber ohne Kopression

Bildbeispiel

KOOS-Grad IV

HANNOVER Klassifikation T4a

Großer Tumor mit Hirnstammkopression

Bildbeispiel

KOOS-Grad IV

HANNOVER Klassifikation T4b

Schwerste Hirnstammkompression und Kompression des IV. Ventrikels mit resultierendem Hydocephalus (Hirnwasseraufstau).

Bildbeispiel

Wie werden Vestibularisschwannome behandelt?

Das Vestibularisschwannom ist eine seltene Erkrankung und daher erfolgen Beratung und Therapie in spezialisierten Zentren, in die Patientinnen und Patienten regional, überregional und international überwiesen werden. Abhängig von der klinischen Beschwerdesymptomatik, der Größe des Tumors, des Alters und der Präferenz der Patientin/des Patienten gibt es verschiedene Vorgehensweisen: 

Ist nach der Erstdiagnose bei kleinen Tumoren als erste Maßnahme zu empfehlen. Die erste Kontrolle sollte nach 4-6 Monaten erfolgen. Bei unveränderten klinischen und bildgebenden Befunden und kleinem Tumor können dann diese Verlaufskontrollen auch mittel- oder längerfristig durchgeführt werden.

Verschiedene Radiochirurgische Optionen stehen zur Behandlung von Vestibularisschwannomen zu Verfügung (z.B. Gamma-Knife oder Cyber-Knife). Durch die stark fokussierte und dosierte Planung der Strahlendosisverteilung sollen die angrenzenden Nervenstrukturen geschont werden und die Behandlung erfolgt als einmalige Behandlung. Das Verfahren wird üblicherweise für Tumore eingesetzt, welche KOOS II nicht überschreiten. Durch die Behandlung kann oft mittelfristig das weitere Größenwachstum aufgehalten werden. Bei größeren Tumoren, aber auch zystischen Tumoren ist mit einer erhöhten Rate von fehlendem Behandlungsansprechen zu rechnen. Für ältere Patientinnen und Patienten mit kleinen Tumoren, Resttumoren oder Patientinnen und Patienten, die Kontraindikationen für eine Operation aufweisen stellt dieses Verfahren unserer Meinung nach eine sinnvolle Behandlungsoption dar. Mit dem ZAP-X gibt es noch keine Langzeiterfahrungen für eine abschließende Beurteilung des längerfristigen Behandlungserfolges.

Die Mikrochirurgische Operation kann über unterschiedliche Zugangswege erfolgen. In unserer Klinik erfolgt die Operation über eine Eröffnung der Hinterhaupts hinter dem Ohr (ein sogenannter retrosigmoidaler oder lateral suboccipitaler Zugang) durchgeführt. Hierzu ist eine kleinflächige Rasur hinter dem Ohr notwendig. Der Schädel wird mit Spezialinstrumenten umschrieben eröffnet. Die Operation erfolgt mit Hilfe des Operationsmikroskops. Nach Eröffnung der harten Hirnhaut gelangt man entlang des natürlichen Weges zwischen Felsenbein und Kleinhirn bis zu dem Tumor im sogenannten Kleinhirnbrückenwinkel. Der innere Gehörgang wird mit Spezialfräsen eröffnet und der Tumor kann dadurch üblicherweise auch komplett entfernt werden. 

Die Operation erfolgt unter einer permanenten elektrophysiologischen Überwachung der Hörnerven- und Gesichtsnervenfunktion. Daher kann eine maximal sichere Tumorentfernung unter Schonung des Gesichtsnervs erfolgen. Es gibt Einzelfälle, wo ein kleiner Tumorrest im Bereich des Gesichtsnervs belassen werden muss, um diese Funktion zu schonen. Die Operation erfolgt entweder in Rückenlage oder in halbsitzender Position. Sollte der operative Eingriff in halbsitzender Position geplant sein, sollte zur prä-operativen Abklärung eine thorakale Herzechokardiographie mit Bubble Test oder eine transösophageale Echokardiographie zur funktionellen Beurteilung und Ausschluss eines Persistierenden Foramen Ovale (PFO) erfolgen.

Das Risiko für einen postoperativen Hörverlust hängt stark von der Tumorgröße und der bereits bestehenden Hörminderung ab. In der Regel verläuft die mikrochirurgische Operation komplikationslos und die behandelten Patientinnen und Patienten sind sehr zufrieden mit dem erzielten Ergebnis. Wenn eine Schwäche des Gesichtsnerven nach der Operation auftritt, beginnt das physiotherapeutische Team umgehend mit der gezielten Beübung derselben. Das Rehabilitationspotential der Gesichtsnerven ist sehr hoch und in den meisten Fällen erholt sich dies mittel- und längerfristig. Der Gehörnerv erholt sich in der Regel nicht.

Stehen bei solitären (einseitigem) Vestibularisschwannomen nicht im Vordergrund, sondern bei bilateralen Vestibularisschwannomen oder dem damit assoziiertem Tumorsyndrom Neurofibromatose Typ II.

 

Computertomographie
Diese Abbildung zeigt präoperative (linksseitig) und postoperative (rechtsseitig) Computertomographie- (oben) und Magnetresonanz (unten)-Bildgebung. Der innere Gehörgang wird während der Operation eröffnet, damit der Tumor komplett entfernt kann (rechts unten). Der eröffnete Gehörgang wird mit einem Spezialkleber und kleinem Muskeltransplantat verschlossen, damit das Risiko einer Liquorfistel gering gehalten wird.

Empfehlungen nach Tumorgradierung

Bei KOOS I Tumoren kann eine sogenannte „Wait-and-Scan“-Strategie (siehe oben) vorgenommen werden. Die erste Verlaufskontrolle erfolgt in der Regel nach 4-6 Monaten and dann können die Kontrollintervalle auf jährlich erhöht werden. Sollte es bei der Verlaufskontrolle zu einem Wachstum kommen, kann dennoch eine Behandlung diskutiert werden. 

Auch bei KOOS II Tumoren sollte in der Regel zuerst eine Verlaufskontrolle erfolgen. Die eventuelle Tumordynamik kann in diesem Intervall kann dann in die Entscheidungsfindung hinsichtlich der Behandlungsstrategie (weitere Verlaufskontrollen, Radiochirurgie, oder mikrochirurgische Operation) fließen. 

Bei größeren Vestibularisschwannomen (KOOS III-IV), ist eine Behandlung notwendig. Dabei hat die mikrochirurgische Tumorentfernung gegenüber einer radiochirurgischen Behandlung Vorteile. Die operative Behandlung kann den raumfordernden Effekt des Tumors auf das umgebene Hirnnerven- und Gehirngewebe reduzieren und direkt behandeln.

Ihre Behandlung an der Universitätsklinik für Neurochirurgie Tübingen

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Univ. Prof. Dr. Marcos Tatagiba,
Ärztlicher Direktor der Klinik für Neurochirurgie

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Weitere Angebote und Informationen

  • Carlson ML, Link MJ. Vestibular Schwannomas. N Engl J Med. 2021 Apr 8;384(14):1335-1348. doi: 10.1056/NEJMra2020394. PMID: 33826821.

  • Koos, W. T., Day, J. D., Matula, C., & Levy, D. I. (1998). Neurotopographic considerations in the microsurgical treatment of small acoustic neurinomas. Journal of Neurosurgery JNS, 88(3), 506-512.

  • Tatagiba, M., Ebner, F.H., Nakamura, T. et al. Evolution in Surgical Treatment of Vestibular Schwannomas. Curr Otorhinolaryngol Rep 9, 467–476 (2021). https://doi.org/10.1007/s40136-021-00366-2

  • Tatagiba M, Wang SS, Rizk A, Ebner F, van Eck ATCJ, Naros G, Horstmann G. A comparative study of microsurgery and gamma knife radiosurgery in vestibular schwannoma evaluating tumor control and functional outcome. Neurooncol Adv. 2023 Nov 11;5(1):vdad146. doi: 10.1093/noajnl/vdad146. PMID: 38024239; PMCID: PMC10681278.