Warum steigt die Zahl der Bandscheibenoperationen?
Die Kernspintomographie (MRT) ist heute das Verfahren der Wahl, um Bandscheibenvorfälle zu diagnostizieren. Allerdings sehen wir bei der Hälfte der Menschen jenseits des 50. Lebensjahres Bandscheibenvorwölbungen in den MRT-Aufnahmen, die jedoch keine Beschwerden verursachen und demnach auch nicht operiert werden müssen. Ob die im MRT sichtbaren Veränderungen auch wirklich die Beschwerden des Patienten oder der Patientin verursachen, ist also keineswegs sicher. „Eine Operation muss daher sehr kritisch und individuell abgewogen werden", sagt Dr. Christian Walter, leitender Oberarzt und Bereichsleitung für Wirbelsäulenchirurgie an der Orthopädischen Universitätsklinik Tübingen.
Welche Risiken birgt die Operation?
Eine Bandscheibenoperation erfolgt heutzutage mikrochirurgisch, das hießt über einen kleinen Schnitt am Rücken und unter Verwendung eines Mikroskops oder einer Kamera, wie man sie bereits aus der Gelenkspiegelung kennt. Der Eingriff ist kurz und dauert etwa 60 Minuten, je nach Lage, Größe und Alter des Bandscheibenvorfalls. Dennoch handelt es sich nicht um einen risikofreien Eingriff. Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass 15 bis 30 Prozent der operierten Patientientinnen und Patienten nach der Operation an anhaltenden beziehungsweise wiederkehrenden Beschwerden leiden. Diese sind meist auf die bereits zum Diagnosezeitpunkt bestehende Abnutzung der erkrankten Bandscheibe selbst oder aber auch durch Vernarbungen durch die Operation zurückzuführen. Auch kann bei einer bereits voroperierten Bandscheibe an derselben Stelle ein erneuter Vorfall auftreten. Es gilt daher grundsätzlich streng abzuwägen, wann eine Operation wirklich sinnvoll erscheint und wann nicht.
Wann ist eine schnelle Operation unabdingbar?
Eine klare Indikationen für eine schnelle Operation sind fortschreitende neurologische Störungen, wie etwa eine Schwäche im Bein oder gar Störungen von Blase oder Darm. Durch die OP kann hier das Risiko bleibender Schäden minimiert werden. Auch im Falle eines sehr großen Bandscheibenvorfalls, der nahezu den gesamten Nervenkanal verlegt und die Nervenwurzeln stark komprimiert, ist eine frühzeitige Operation sinnvoll und anzuraten. Dann ist nämlich davon auszugehen, dass sich die Masse an vorgefallenem Bandscheibengewebe nicht ausreichend beziehungswiese in absehbarer Zeit von selbst auflöst. „In den meisten dieser Fälle kommt es nach dem Eingriff zu einer schnelleren Beschwerdelinderung bis Beschwerdefreiheit und einer rascheren Erholunger Patientinnen und Patienten", erläutert der Experte.
Ist es immer sinnvoll, eine Zweitmeinung einzuholen?
Um Patientinnen und Patienten die bestmögliche Therapie zu ermöglichen, sollte die Indikation zur Operation individuell sehr sorgfältig gestellt werden. Nicht jeder Bandscheibenvorfall muss gleich operiert werden. Zunächst kommen konservative Therapiemöglichkeiten zum Einsatz. „Bei kleineren Bandscheibenvorfällen beispielsweise, die keine neurologischen Störungen verursachen und den Nervenkanal beziehungsweise die Nervenwurzel nicht so sehr einengen, raten wir meist abzuwarten. Schmerzmittel, Physiotherapie, beschwerdeabhängig Bewegung und Haltungsschulungen können die Beschwerden lindern", erklärt Walter. Machmal kann auch eine lokale Infiltrationstherapie hilfreich sein. Hierbei wird ein Medikament gezielt an die betroffene Stelle gespritzt. Natürlich können sich die Patienten, die vor einer so schwerwiegenden Entscheidung stehen, auch jederzeit eine Zweitmeinung einholen.
Wie kann man seine Bandscheiben schützen?
„Eine Operation ist nur die halbe Miete. Grundsätzlich gilt die Devise, sich langfristig ein rückengerechtes Verhalten in Alltag und Freizeit anzugewöhnen und für eine gute Stabilisierung der Rumpfmuskulatur zu sorgen", betont Walter. Die operative Entfernung des symptomatischen Bandscheibenvorfalls zielt auf die Behebung beziehungsweise Verbesserung der akuten Beschwerden ab, adressiert jedoch nicht die eigentliche defekte Bandscheibe.