Fast jeder und jede Dritte in Deutschland leidet unter Rückenschmerzen. Bei einem gesunden Lebensstil und regelmäßiger Bewegung können sich die Beschwerden innerhalb kurzer Zeit bessern. Chronisch sind Schmerzen, wenn sie länger als zwölf Wochen andauern. Viele Betroffene sorgen sich, was dahinterstecken könnte. Magdalena Schreiner ist Physiotherapeutin im Therapiezentrum des Uniklinikums Tübingen und behandelt viele Patientinnen und Patienten mit unspezifischen Rückenschmerzen. Das Ziel ihrer Arbeit: Herausfinden, was die Schmerzen auslösen könnte. „Viele Rückenschmerzen haben eine mechanische Ursache und werden durch Überlastung oder Bewegungsmangel ausgelöst“, weiß sie. Bandscheiben wirken wie Stoßdämpfer zwischen den einzelnen Wirbelkörpern. Sie haben eine Hülle aus Kollagenfasern und bestehen im Inneren aus einer gelartigen Flüssigkeit. Diese wird durch den Wirbelknochen mit Nährstoffen versorgt. Wie ein Schwamm nehmen sie bei Entlastung frische Nährflüssigkeit auf, bei Belastung geben sie verbrauchte Nährflüssigkeit ab. Dieser Prozess sollte im Gleichgewicht sein. „Durch langes Sitzen ohne Positionswechsel, durch körperlich anstrengende Tätigkeiten mit einseitigen Belastungen oder durch Bewegungsmangel werden die Bandscheiben allerdings nicht ausreichend versorgt“, erklärt Schreiner.
Hochreguliertes Nervensystem
Wird zur Abklärung der Schmerzen eine Bildgebung des Rückens angeordnet, sind fast immer Verschleißerscheinungen festzustellen. Bereits ab einem Alter von 20 oder 30 Jahren werden die Bandscheiben dünner, die Wirbelkörper sitzen dann dichter aufeinander. „Wer sucht, findet aufgrund des Alterungsprozesses meist auch strukturelle Veränderungen. Auch wenn diese nicht zwingend die Schmerzen auslösen“, erklärt Schreiner. In vielen Fällen entstehen chronische Rückenschmerzen durch eine Hochregulierung des Nervensystems.
Einerseits können Stress, Konflikte oder Fehlbelastung zu Verspannungen der Muskulatur führen und diese Verspannungen dann zu weiteren Schmerzen. So entsteht ein Teufelskreis zwischen Schmerzen und Stress. Andererseits können auch Nervenzellen in Rückenmark und Gehirn sensibilisiert sein. „Schon die kleinsten Berührungen lösen dann große Schmerzen aus, obwohl kein Gewebe geschädigt ist“, sagt Nina Gärtner-Tschacher, die am UZP (Universitätsklinikum Zentrum für Physiotherapie) als Physiotherapeutin arbeitet und ambulante Patientinnen und Patienten betreut. Im ersten Termin erkundigt sie sich nach Stressfaktoren im Alltag und lässt sich die Schmerzen beschreiben. Auch die Anatomie schaut sie sich genau an. Mit verschiedenen physiotherapeutischen Tests sucht sie nach dem Schmerzgenerator. „Wichtig ist, ob der Schmerz nachts oder tagsüber auftritt und ob er in die Arme oder Beine ausstrahlt. In dem Fall müssen wir anders therapieren als bei klassischen Verspannungen“, sagt Gärtner-Tschacher.
Das Tübinger Rückenkonzept ist ein gut erforschtes Konzept zur Diagnostik und Therapie von Beschwerden des Rückens und der Wirbelsäule. Bei der physiotherapeutischen Diagnostik wird zunächst nach Beschwerden und Leidensgeschichte gefragt. Für die körperliche Untersuchung werden wiederholt bestimmte Bewegungen durchgeführt, währenddessen der Therapeut oder die Therapeutin die Symptome notiert. Daraus können spezifische Wirbelsäulenbewegungen entwickelt werden, die jeweils bis an das Bewegungslimit ausgeführt werden. Regelmäßiges Üben führt zu einer Schmerzreduzierung und Verbesserung der Beweglichkeit. Die stabilisierenden Muskeln der Wirbelsäule werden unterstützt und die aufrechte Körperhaltung verbessert.
Termine für Physiotherapie und weitere Therapieverfahren können am Universitätsklinikum Zentrum für Physiotherapie (UZP) gebucht werden.
Bewegung statt Schonung
Krankschreibung, Bettruhe und Schmerzmedikamente sind in vielen Fällen die falschen Maßnahmen, um Rückenschmerzen zu bekämpfen. Auch manuelle Verfahren, also spezielle Handgriffe und Mobilisationstechniken, die Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten anwenden, sind oft nicht ausreichend. „Man muss selbst aktiv werden“, weiß Leonie Traub, Therapeutische Leiterin im Zentrum für ambulante Rehabilitation (ZAR Tübingen). Über mehrere Wochen erhalten Patientinnen und Patienten mit langwierigen Beschwerden hier eine intensive Behandlung mit individuellem Trainingsplan. Unerlässlich sei Krafttraining an mindestens zwei Tagen pro Woche, um die großen Muskelgruppen zu stärken. Yoga, Gymnastik oder Pilates helfe, die Flexibilität und Balance zu verbessern und tiefe Muskulatur nach einem langen Tag am Schreibtisch zu aktivieren oder zu entspannen. Und zügiges Gehen, Radfahren oder Schwimmen bringe den ganzen Körper in Bewegung und unterstütze Herz und Kreislauf. Zunächst sei der schmerzfreie Bewegungsradius begrenzt, Tag für Tag werde immer mehr möglich, beobachtet Traub bei Reha-Gästen. „Wenn sie merken, dass sie ihre Rückengesundheit aktiv verbessern können, geht es den Patientinnen und Patienten sowohl körperlich als auch psychisch deutlich besser.“ Bei Rückenschmerzen, die durch psychische Belastungen mitverursacht werden, seien auch eine psychotherapeutische Begleitung oder Entspannungsverfahren hilfreich.