Universitätsklinikum Tübingen PULS
Rechtzeitig erkennen und richtig behandeln

Herzschwäche: Die unterschätze Gefahr

Bluthochdruck bleibt oft lange unbemerkt – und überfordert das Herz über Jahre. Die Folge kann eine chronische Herzschwäche sein, die lebensbedrohlich werden kann. Warum frühzeitige Diagnose, ein gesunder Lebensstil und konsequente Medikamenteneinnahme so wichtig sind, erklären Kardiologen der Uniklinik Tübingen.
15.04.2020
Stephan Gokeler
5 Minuten
Herzschwäche: Die unterschätze Gefahr

Bluthochdruck, den 40 Prozent der über 40-Jährigen hierzulande aufweisen, ist einfach zu messen und gut zu behandeln. Dass er trotzdem häufig über Jahre hinweg unentdeckt bleibt, liegt daran, dass er selbst keine Schmerzen oder andere unmittelbare Symptome verursacht. Doch die Folgen können fatal und nicht selten lebensbedrohlich sein. Muss das Herz über lange Zeiträume gegen einen erhöhten Blutdruck anpumpen, ist es überfordert und versagt irgendwann seinen Dienst – entweder akut, beispielsweise in Form eines Herzinfarktes, oder aber schleichend als chronische Herzschwäche. Letztere ist nicht weniger bedrohlich. 

„Herzschwäche ist der häufigste Vorbote eines plötzlichen Herztodes“, sagt Professor Dr. Meinrad Gawaz, Ärztlicher Direktor der Kardiologie und Angiologie an der Medizinischen Universitätsklinik in Tübingen. Die Herzschwäche nimmt daher in der Gesundheitsversorgung einen immer größeren Stellenwert ein. Das hängt mit der steigenden Lebenserwartung zusammen, aber auch damit, dass ein nicht rechtzeitig erkannter und behandelter Bluthochdruck irreparable Schäden verursacht und am Ende auch zum Versagen anderer Organe oder zu schweren Gefäßschädigungen führen kann. 

Gesunder Lebensstil gegen Bluthochdruck

Eigentlich ist das Herz ein biologisches Wunderwerk. „Wenn ein Mensch 80 Jahre alt wird, hat sein Herz so viel Blut gepumpt wie etwa ein Achtel des Wassers im Bodensee“, so Gawaz. Neben einer regelmäßigen Blutdruckmessung bei Arztbesuchen könne es ab einem Lebensalter von 40 Jahren durchaus sinnvoll sein, zu Hause mit einem Gerät immer wieder einmal die Werte zu kontrollieren. 120/80 mmHg sind die Zielmarken für den oberen und den unteren Wert, und zwar unabhängig vom Alter. Liegen die Werte dauerhaft höher als 135/85 mmHg, dann besteht Handlungsbedarf, so Gawaz. 

Nicht immer ist gleich eine medikamentöse Behandlung erforderlich, einiges können Betroffene auch über ihren Lebensstil beeinflussen. Bewegung, Gewichtsreduktion, eine salzarme Ernährung und ein verantwortungsbewusster Alkoholkonsum wirken erhöhtem Blutdruck entgegen. Doch nicht immer lässt sich eine Herzschwäche, von den Medizinerinnen und Medizinern Herzinsuffizienz genannt, auf Dauer verhindern. Wird sie rechtzeitig erkannt, stehen heute viele Möglichkeiten zur Verfügung um „das Herz in Watte zu packen“, wie es Privatdozentin Dr. Karin Müller von der Tübinger Universitätsklinik für Innere Medizin und Kardiologie formuliert.

Herzmedikamente entlasten das Herz

Doch zunächst gilt es, die richtige Diagnose zu stellen. „Herzinsuffizienz ist ein Chamäleon, das in verschiedensten Erscheinungsformen auftreten kann“, beschreibt der Stellvertretende Ärztliche Direktor der Kardiologie und Angiologie am Tübinger Universitätsklinikum, Professor Dr. Tobias Geisler, die Herausforderung. Verminderte Leistungsfähigkeit, Schwindelgefühle, Kurzatmigkeit, Ödeme, aber auch häufiges nächtliches Wasserlassen gehören zu den unspezifischen Anzeichen einer Herzschwäche. Neben Bluthochdruck können auch Entzündungen, Erkrankungen der Herzklappen, Gefäße oder Nerven sowie Diabetes Auslöser einer Herzinsuffizienz sein.

Entdeckt ein Hausarzt Hinweise auf eine Herzschwäche, sollte unbedingt eine Überweisung an einen Facharzt erfolgen. „Eine Herzinsuffizienz ist eine chronische Erkrankung. Die Patienten benötigen eine dauerhafte Beobachtung, Begleitung und Nachverfolgung“, betont Müller. Wird eine Herzschwäche diagnostiziert, erzeugt dies bei den Betroffenen häufig Angstgefühle und den Wunsch nach wirksamen Medikamenten. Um das Herz zu entlasten, stehen verschiedene Wirkstoffe und Kombinationspräparate zur Verfügung. Sie können den Blutdruck absenken, das Herz vor Stresshormonen schützen, als Diuretika eine entwässernde Wirkung haben oder die Produktion körpereigener Schutzhormone steigern. Die Medikation wird nach einem Stufenplan verordnet. Ziel sei es in jedem Fall, das Herz maximal zu entlasten, erklärt Müller.


Operative Eingriffe können Leben retten

Nicht immer wirken die Medikamente so, dass Patientinnen und Patienten sofort eine Besserung verspüren. Bei einigen sorgen sie zunächst dafür, dass sie sich müde und schlapp fühlen. Darüber aufzuklären, sei sehr wichtig. „Sich strikt an den Medikamentenplan zu halten, sorgt für Lebensqualität und Lebensdauer“, betont der Kardiologe Gawaz. Das gelte auch dann, wenn die Medikamente ihre gewünschte Wirkung entfalten und sich die Patientinnen und Patienten subjektiv wieder gesund und leistungsfähig fühlen: „Herzmedikamente müssen dauerhaft eingenommen werden. Der häufigste Grund für Notfalleinsätze wegen Herzerkrankungen ist das eigenmächtige Absetzen von Medikamenten durch Patienten.“

Lässt sich einer chronischen Herzinsuffizienz nicht mehr ausreichend durch Medikamente begegnen oder kommt es zu einer akuten Herzschwäche, können operative oder kardiologische Interventionen Leben retten. Bei zu langsamen Herzschlägen kommt ein Herzschrittmacher in Betracht. Um Kammerflimmern zu vermeiden, kann ein Defibrillator implantiert werden. Bei fortgeschrittener Herzinsuffizienz hilft unter bestimmten Voraussetzungen ein sogenanntes linksventrikuläres Unterstützungssystem (LVAD), das minimalinvasiv eingesetzt werden kann. Diese Miniherzpumpe übernimmt dann die Pumpleistung der linken Herzkammer.

Experten

Univ.-Prof. Dr. Meinrad Paul Gawaz
Univ.-Prof. Dr. Meinrad Paul Gawaz
Ärztlicher Direktor und Ordinarius (C4) für Innere Medizin und Kardiologie
Innere Medizin III - Kardiologie und Angiologie
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Apl.Prof. Dr. Tobias Geisler
Apl.Prof. Dr. Tobias Geisler
Stellvertretender Ärztlicher Direktor
Innere Medizin III - Kardiologie und Angiologie
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PD Dr. med. Karin Müller
PD Dr. med. Karin Müller
Geschäftsführende Oberärztin
Innere Medizin III - Kardiologie und Angiologie
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