Universitätsklinikum Tübingen PULS
Moderne Reproduktionsmedizin am Uniklinikum Tübingen

Hilfe bei unerfülltem Kinderwunsch

Etwa jedes siebte Paar in Deutschland wünscht sich Kinder und ein Familienleben, bleibt aber ungewollt kinderlos. Für diese Paare gibt es mittlerweile eine Vielzahl an Hilfsangeboten. Am Universitätsklinikum Tübingen arbeiten Expertinnen und Experten mehrerer Fachgebiete eng zusammen, damit der Traum von der Familie für möglichst viele in Erfüllung gehen kann.
11.04.2022
Veronika Renkenberger
10 Minuten
Hilfe bei unerfülltem Kinderwunsch

Unfruchtbar – ein Wort, das wehtun kann. Als Fachbegriff wird es offiziell verwendet, wenn ein Paar bis zu zwei Jahre lang versucht, auf natürlichem Weg schwanger zu werden, aber keinen Erfolg hat. Die moderne Medizin kennt zahlreiche Wege, um Paaren mit Kinderwunsch zu helfen. „Wir machen Mut, denn wir können viel. Aber wir können nicht alles“, sagt Priv.-Doz. Dr. Melanie Henes. Sie leitet die Reproduktionsmedizin am Universitätsklinikum. Die Tübinger Frauenklinik war in den 1970er-Jahren unter den ersten, die kinderlose Paare behandelt hat.

Weil die Situation für jedes Paar anders ist, findet das Team der Kinderwunsch-Sprechstunde stets individuelle Wege – mehr als 4.000 Paare kommen Jahr für Jahr. „Zuerst müssen wir herausfinden, woran genau es liegt“, sagt Melanie Henes. Mann und Frau werden gründlich untersucht. Die Statistik weiß: Es verteilt sich ziemlich gerecht. In gut 30 Prozent ist er die Ursache, in weiteren 30 Prozent sie. In etwa 30 Prozent der Fälle sind beide betroffen. Nur bei fünf bis zehn Prozent der Paare findet man nichts Konkretes.

Bei Frauen tickt die Uhr

Der deutlichste Unterschied zwischen Männern und Frauen: Bei Frauen spielt das Alter eine Schlüsselrolle: Ab Mitte 30 sollten Frauen sich beeilen, wenn sie sich schwertun, schwanger zu werden. Ärztinnen und Ärzte sollten so früh wie möglich aktiv werden. Etwa ab dem 45. Lebensjahr haben Frauen laut Statistik kaum noch Hoffnung auf ein Kind, zumindest mit eigenen Eizellen. Bei Männern wirkt sich das Alter nicht so drastisch aus.

Bleiben Kinder aus, checken Mediziner und Medizinerinnen allerhand im weiblichen Körper. Hormonstörungen sind dabei ein großes Thema: Die Schilddrüse wird geprüft, eine Gelbkörperschwäche und ein zu hoher Spiegel an männlichen Hormonen ausgeschlossen, ebenso verfrühte Wechseljahre oder zu viel Prolaktin. Zudem kontrolliert man die Eizell-Reifung und untersucht auf Fehlbildungen der Gebärmutter, Polypen und Myome. Es gibt Frauen, deren Eileiter nicht durchgängig sind, manche leiden an Endometriose. Das bedeutet: Gewebe, das der Gebärmutterschleimhaut ähnelt, wuchert außerhalb der Gebärmutter. 

Was Patientinnen und Patienten bei der ersten Untersuchung erwartet

Während des ersten Arztbesuches findet in der Regel ein längeres Gespräch statt. Hier können und sollten Patientinnen und Patienten alle Fragen stellen, die Ihnen auf dem Herzen liegen. Am besten werden diese vorher augeschrieben und mitgebracht. Da Unterlagen von vorherigen Untersuchungen wichtige Hinweise auf die Ursache der Kinderlosigkeit liefern können, sollten diese ebenfalls zum ersten Termin mitgebracht werden.

Der behandelnde Arzt wird Fragen stellen, um ganz individuell auf Sie eingehen zu können und die ersten Schritte für eine Behandlung zu planen. Ein gemeinsames Konzept wird entworfen, damit keine unnötigen Untersuchungen gemacht werden.

Beispiele für Fragen:

  • Seit wann versuchen Sie, ein Kind zu bekommen?
  • Gibt es Unregelmäßigkeiten (z.B. Blutungsstörungen) oder große Schmerzen im Menstruationszyklus?
  • Haben Sie regelmäßig Periodenblutungen?
  • Sind Sie schon einmal operiert worden, vor allem im Bauchraum oder gynäkologisch?
  • Wurde jemals die Eileiterdurchgängigkeit geprüft?
  • Haben Sie schon Kinder, eventuell auch aus anderen Partnerschaften?
  • Bestehen Vorerkrankungen? Nehmen Sie regelmäßig Medikamente?
  • Hatten Sie eine Entzündung oder eine Verletzung am Hoden?

Auch beim Mann geht es um die Qualität der Keimzellen. Ein Spermiogramm zeigt: Wie hoch ist die Konzentration der Spermien? Wie beweglich und schnell sind sie? Und wie sind sie geformt? Liegt es weder am Sperma noch an seiner Reifung, klärt man, ob es Störungen beim Transport gibt, Zysten oder Verschlüsse der Samenleiter.Die wichtigen Untersuchungen beim Mann übernehmen die auf Andrologie spezialisierten Urologen des Uniklinikums. Prof. Dr. Steffen Rausch erklärt: Über Ausschluss-Diagnostik tastet man sich heran. Nicht immer sind aufwendige Verfahren nötig, um Männern zu einem normalen Spermiogramm zu verhelfen. Wenn beispielsweise ein genetischer Defekt verhindert, dass der Körper bestimmte Hormone selbst herstellt, können synthetische Hormone zugeführt werden, sodass die Hoden wieder normal arbeiten. Es kann auch helfen, den Östrogenspiegel medikamentös zu senken, etwa wenn Männer stark übergewichtig sind. Sind Samenwege verschlossen, können sie oft operativ geöffnet werden.

Viele verschiedene Fachrichtungen können hinzugezogen werden, genau das macht die Kinderwunsch-Behandlung am Uniklinikum besonders. Auch Internistinnen und Internisten sowie weitere Hormon-Spezialistinnen und -Spezialisten (internistische Endokrinologinnen und Endokrinologen) sind in Reichweite. Sind alle Punkte geklärt, kann die moderne Reproduktionsmedizin starten, meist mit dem Zyklus-Monitoring. Um Eizellen und Samenzellen zu gewinnen, gibt es verschiedene Wege – wenn nötig, kann man Spermien aus Hodengewebe extrahieren (TESE). Befruchtet wird über Insemination, In-vitro-Fertilisation (IVF) oder die intra-cytoplasmatische Spermien-Injektion (ICSI). Dann beginnt für die Paare meist das Warten.

Kinder trotz schwerer Krankheit

Die Tübinger Expertinnen und Experten sind speziell gefragt, wenn es kompliziert wird: Hier werden Paare behandelt, die von niedergelassenen Kinderwunsch-Praxen nicht angenommen werden oder dort nicht weiterkommen. Man betreut auch Paare, bei denen schwere Krankheiten den Kinderwunsch erschweren – etwa, wenn eine Frau an einer Gerinnungsstörung leidet oder wenn eine junge Krebspatientin sich wünscht, nach ihrer Krebstherapie noch Kinder zu bekommen. Auch für Frauen mit rheumatischen Erkrankungen kann der Kinderwunsch problematisch sein. Dafür haben die Tübinger eine hohe Expertise, sie haben allgemeine Behandlungs-Leitlinien mitverfasst. Ein weiterer Schwerpunkt: Weil es an der Frauenklinik ein Endometriose-Zentrum gibt, sind Patientinnen bestens aufgehoben, wenn sie trotz dieser Krankheit schwanger werden wollen.

„Bei Kinderwunsch geht es nicht nur um eine medizinische, sondern um eine ganzheitliche Behandlung“, sagt Melanie Henes. „Ganz wichtig: Bei Kinderwunsch behandeln wir immer das Paar.“ Stets werden beide betreut, beraten und begleitet, oft parallel und aufeinander abgestimmt therapiert. Wenn alles gut geht, bringen die Eltern einige Jahre später ihrem Nachwuchs das Radfahren bei.

Die Wahrscheinlichkeit, pro Eisprung auf natürlichem Wege schwanger zu werden, liegt bei einem völlig gesunden Paare bei 20 Prozent. Das heißt, dass nur jeder vierte bis fünfte Eisprung unter idealen Bedingungen zur Schwangerschaft führt. Als Erfolgsrate einer IVF-Behandlung wird weltweit die Schwangerschaftsrate nach Embryotransfer angesehen. Im internationalen Vergleich aller IVF-Zentren liegt diese Rate im Durchschnitt bei 25%. Anders gesagt: Jeder vierte bis fünfte Embryotransfer führt zu einer Schwangerschaft. Mit der Zahl der Versuche pro Patientin steigt die Schwangerschaftsrate an.

Nach viermaliger IVF-Behandlung liegt die sogenannte kumulative Schwangerschaftsrate bei ca. 60 Prozent. 

Wie sind die Chancen bei ICSI (Intrazytoplasmatische Spermieninjektion – eine spezielle Methode der künstlichen Befruchtung)? 

Nahezu unabhängig vom Ausgangsspermiogramm kommt es bei mehr als 95 Prozent der Zyklen zum Embryotransfer. Die Schwangerschaftsrate pro Embryotransfer liegt bei 25 bis 30 Prozent, zum Teil darüber. Auch bei diesem Verfahren liegt die kumulative Schwangerschaftsrate nach vier Versuchen bei ca. 60 Prozent. Unter optimalen Bedingungen werden Schwangerschaftsraten bei hormonellen Stimulationen und bei Inseminationen bis ca. 20 Prozent erzielt. Sie sehen an diesen Zahlen: Eine Garantie für die Schwangerschaft gibt es nicht.

Aufgrund von biologischen Faktoren nehmen die Erfolgschancen in Anbetracht der zu erwartenden Risiken für eine künstliche Befruchtung mit höherem Alter erheblich ab. Daher behandeln wir Frauen mit Kinderwunsch bis zur Vollendung des 43. Lebensjahres. (Richtlinien über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung - Der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen, Sitzung vom 14.08.1990)

Grundsätzlich werden die Kosten für die Abklärung (Diagnose) ungewollter Kinderlosigkeit sowohl von den gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) wie auch von den privaten Krankenversicherungen (PKV) übernommen.

Seit dem Inkrafttreten des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes zum 01.01.2004 werden die Kosten für die Behandlung von unterfülltem Kinderwunsch (Sterilitätstherapie) gesetzlich versicherter verheirateter Paare von den jeweiligen Krankenversicherungen zu 50 Prozent getragen und zwar:

  • 8 Therapieversuche der Insemination im natürlichen Zyklus (ohne Stimulation)
  • 3 Therapieversuche der Insemination nach hormoneller Stimulation
  • 3 Therapieversuche der extrakorporalen Befruchtung nach dem Standardverfahren (IVF-Befruchtung im Schälchen)
  • 3 Therapieversuche der extrakorporalen Befruchtung mittels ICSI (intrazytoplasmatische Spermieninjektion)

Vor Behandlungsbeginn ist ein Antrag auf Kostenübernahme an die zuständigen Krankenkassen zu stellen. Die Anträge werden von den die Sterilitätstherapie durchführenden Praxen/Kliniken vorbereitet.

Die o.g. Regelungen gelten nur für Patientinnen im Alter zwischen 25-40 Jahren und für Patienten die das 50. Lebensjahr noch nicht überschritten haben.

Nach Sterilisation und bei unverheirateten Paaren beteiligen sich die gesetzlichen Krankenversicherungen nicht an den Therapiekosten unabhängig vom Alter des Paares.

  • Bitte vereinbaren Sie telefonisch unter  07071 29-83117 einen Termin bei uns. Für Beratungen bei Kinderwunsch, wiederholten Fehlgeburten oder zur Beratung bei Social Freezing können Sie gerne über unser Onlineportal eine Buchung vornehmen.
  • Bringen Sie alle vorhandenen Unterlagen (Untersuchungsergebnisse, Vorbehandlungen) mit.
  • Wichtig sind des weiteren ein Krebsvorsorgeabstrich sowie der Nachweis einer Rötelnimmunität.
  • Kommen Sie bei einem ersten Beratungsgespräch gern zu zweit, denn der Kinderwunsch betrifft Sie als Paar und so können wir Sie beide individuell beraten und weitere Schritte planen.
  • Denken Sie auch, wenn Sie gesetzlich versichert sind daran, einen Überweisungsschein mitzubringen (gilt nicht bei privater Krankenversicherung).

Weitere Informationen zur Kinderwunschbehandlung im Kinderwunschzentrum finden Sie hier.

Experten

Prof. Dr. med. Melanie Henes
Prof. Dr. med. Melanie Henes
Leitung Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, Dysplasie
Department für Frauengesundheit
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