Universitätsklinikum Tübingen PULS
Bösartiger Augentumor bei Kindern

Schielen und weiße Pupillen als Warnzeichen

Oft sind es unscheinbare Anzeichen, die auf ein Retinoblastom hinweisen, ein seltener und bösartiger Augentumor bei Kindern. Wird der Tumor früh erkannt, sind die Heilungschancen gut. Wie Eltern Warnsignale erkennen, welche Behandlungsmöglichkeiten es gibt und warum eine regelmäßige Nachsorge so wichtig ist.
15.05.2023
Paula Wagner
4 Minuten
Schielen und weiße Pupillen als Warnzeichen

Für die Eltern ist es immer ein Schock: Ihr Kind, das vielleicht ein bisschen schielt, aber ansonsten fröhlich auf dem Boden krabbelt und spielt, soll einen bösartigen Augentumor haben? „Ein Retinoblastom, also ein Tumor der Netzhaut, entwickelt sich völlig schmerzfrei und ohne andere Beschwerden“, erklärt Prof. Dr. Daniela Süsskind, Leiterin des ophthalmopathologischen Labors und der Tumorsprechstunde der Uni-Augenklinik. Das Retinoblastom sei selten, in Deutschland gebe es etwa 45 Neuerkrankungen im Jahr. An drei deutschen Kliniken können diese Kinder behandelt werden – Tübingen ist eine davon, das größte Zentrum ist in Essen. Wird der Tumor rechtzeitig erkannt, ist eine Heilung möglich. Heute ist das bei mehr als 95 Prozent der Kinder so. 

Ein Retinoblastom entsteht meist vor dem fünften Lebensjahr, da der Tumor aus unreifen Netzhautzellen wächst – also aus den Zellen, die für das Sehen verantwortlich sind. Im Schnitt sind die Kinder anderthalb Jahre alt, wenn das Retinoblastom diagnostiziert wird. Erkannt wird es zunächst durch Schielen oder weiße Pupillen – wenn zum Beispiel bei einem Foto mit Blitz die Pupille nicht rot, sondern weiß auf dem Bild schimmert. „Gewissheit bringt schließlich eine Untersuchung der Augen in Narkose. Dabei wird geschaut, ob sich der Tumor auf ein Auge beschränkt oder ob beide Augen betroffen sind“, erklärt Süsskind. Zudem wird abgeklärt, wie groß der Tumor ist, ob er schon gestreut hat und ob es mehrere sind. In einer Magnetresonanztomografie (MRT) wird festgestellt, ob die Tumorzellen den Sehnerv, die Augenhöhle oder das Gehirn befallen haben.

Sehvermögen soll erhalten bleiben

„Das Ziel der Behandlung ist, das Sehvermögen von zumindest einem Auge zu erhalten“, sagt Süsskind. Bei großen Tumoren jedoch müsse das Auge entfernt werden – auch um zu verhindern, dass der Tumor in andere Organe streut. Für die betroffenen Kinder ist aber auch mit einem Glasauge eine völlig normale Entwicklung möglich und lernen mit dem Ersatzauge umzugehen, ähnlich wie mit Kontaktlinsen.

Falls das Sehvermögen eines oder beider Augen erhalten werden kann, etwa wenn der Tumor noch sehr klein ist, gibt es verschiedene Behandlungsmöglichkeiten: „Bei der Kryotherapie wird der Tumor von außen mithilfe einer Sonde mehrfach durchgefroren und die kälteempfindlichen Tumorzellen werden zerstört“, berichtet Süsskind. Bei der Lasertherapie, die nur bei sehr kleinen Tumoren infrage komme, zerstöre ein Laserstrahl durch Hitze die Tumorzellen. Der Strahl wird durch die Pupille direkt auf den Tumor gelenkt. Auch Chemotherapie werde eingesetzt. Die Substanzen werden dabei lokal, also direkt in die Augenarterie und in den Glaskörper gespritzt – und zwar mithilfe eines Katheters, der über eine Arterie im Bein bis in die Blutgefäße, die das Auge versorgen, vorgeschoben werden kann. Das habe den Vorteil, dass das Chemotherapeutikum am richtigen Ort wirke und nicht den gesamten Körper belaste. Wichtig sei zudem die Strahlentherapie, die auch bei mittelgroßen Tumoren infrage komme. Eine besondere Form ist dabei die sogenannte Brachytherapie. Bei dieser Art der Bestrahlung werden die winzigen Applikatoren auf das Auge, auf die Lederhaut, aufgenäht. Damit kann eine hohe Strahlendosis direkt auf den Tumor gelenkt werden, ohne dass das benachbarte Gewebe geschädigt wird. Wie lange die Strahlenträger auf dem Auge bleiben, werde zuvor genau berechnet, erklärt Süsskind. Während der Behandlung, die einige Tage dauert, kann sich der kleine Patient oder die Patientin frei bewegen, essen und trinken – allerdings mit möglichst wenig Kontakt zu anderen Menschen. „Schließlich handelt es sich um eine Strahlentherapie“, so die Augenärztin.

Risiko für Spätfolgen

Die Kinder kommen auch zur Nachbehandlung weiterhin in die Tübinger Augenklinik. Denn ein Retinoblastom kann nach zunächst erfolgreicher Behandlung erneut ausbrechen. „Bei der erblichen Variante können später im Leben an anderer Stelle Tumore auftreten: in den Knochen oder in den Weichteilen. Auch das Risiko für Hautkrebs steigt. Das müssen wir den Eltern erklären, sodass sie beispielsweise ihrem Kind beibringen, stets auf guten Sonnenschutz zu achten“, erklärt die Expertin.

Sprechstunde für Augentumore

Die Sprechstunde für Augentumore richtet sich unter anderem an Patientinnen und Patienten mit Tumoren der Regenbogenhaut, Netzhaut, Aderhaut und Bindehaut.

Zu den Sprechstundenzeiten und der Terminvergabe

Experten

Apl.Prof. Dr. Daniela Süsskind
Apl.Prof. Dr. Daniela Süsskind
Oberärztin
Universitäts-Augenklinik
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