Was sind die wichtigsten Anzeichen für Typ-1-Diabetes bei Kindern?
1. Ungewöhnlich viel trinken: „Wenn ein dreijähriges Kind von sich aus sagt, dass es furchtbaren Durst hat und mehr als zwei oder drei große Gläser auf einmal trinkt, dann ist das auffällig und kann auf Typ-1-Diabetes hindeuten“, erklärt Dr. Julian Ziegler, Kinder-Endokrinologe und -Diabetologe am Universitätsklinikum Tübingen. Jugendliche trinken bei Typ-1-Diabetes auch bis zu sechs Liter am Tag. „Eine Mutter berichtete mir, dass sie im Sommer gar nicht hinterherkam, für ihr Kind Sprudelkisten ranzuschaffen“, erinnert sich Ziegler. Wie viel zu viel ist, ist allerdings von Kind zu Kind unterschiedlich und vom Alter abhängig.
2. Nächtlicher Toilettengang: Wenn Kinder regelmäßig nachts aufstehen müssen, um zu trinken oder auf die Toilette zu gehen, kann das auf einen Typ-1-Diabetes hindeuten. „Gesunde Kinder machen das normalerweise nicht“, betont Ziegler. Der Grund: Bei Diabetes hat der Körper zu wenig Insulin und zu viel Zucker im Blut. Die Nieren filtern den Zucker aus dem Blut und geben ihn in den Urin ab. Zucker bindet Wasser – deshalb wird viel Flüssigkeit mit ausgeschieden. Das führt dazu, dass Kinder ständig auf die Toilette müssen, auch nachts. Durch den Flüssigkeitsverlust über den Urin entsteht im Körper wiederum ein Wassermangel. Das merkt der Körper – und signalisiert: trinken!
3. Starke Gewichtsabnahme: Eine ungewöhnlich starke Gewichtsabnahme von zehn bis 15 in Prozent in wenigen Wochen ist ein ernst zu nehmender Hinweis. Da der Zucker bei Diabetes nicht in die Zellen gelangt, sind die Zellen in einem „Hungerzustand“. Der Körper schaltet auf Notversorgung um, verbrennt Fettreserven und baut Muskelmasse ab, um Energie zu gewinnen. Das führt zu einer raschen Gewichtsabnahme.
4. Leistungsabfall: Weil die Zellen nicht mehr gut mit Glukose versorgt sind, sinkt häufig die Leistungsfähigkeit, was sich körperlich wie auch kognitiv bemerkbar macht. Betroffene sind müder, schlafen mehr, können ihre gewohnte Tätigkeit nicht mehr ausüben und im schlimmsten Fall tritt ein Koma ein.
Wichtige Fragen zu Diabetes Typ-1:
„Sich zeitnah in einer Kinderarztpraxis vorstellen und die Symptome schildern“, betont Ziegler. Medizinische Fachkräfte und niedergelassene Kinderärztinnen und -ärzte wissen in der Regel, dass in diesem Fall der Blutzucker zeitnah kontrolliert werden muss. „Wenn Zucker im Urin nachgewiesen wird und der Blutzuckerwert bei über 200 Milligramm pro Deziliter liegt, ist die Diagnose Typ-1-Diabetes sehr wahrscheinlich. Ist der Wert auch in der Langzeit-Blutzuckermessung erhöht, ist die Diagnose in der Regel gestellt“, erklärt Ziegler. Vielen Kindern geht es zu diesem Zeitpunkt grundsätzlich noch gut, das viele Trinken und Wasserlassen sind die einzigen Hinweise. Anderen Kindern geht es sehr schlecht. „Sie haben viel Gewicht verloren, das Blut ist stark übersäuert. Sie müssen sofort in eine Klinik überwiesen werden“, betont der Kinder-Diabetologe. Nicht rechtzeitig erkannt und behandelt kann Typ-1-Diabetes lebensbedrohlich sein.
Die Einstellung des Blutzuckers sollte sofort erfolgen. Je länger man wartet, desto schlechter geht es den Kindern und desto höher ist das Risiko für Organschäden. „Erkrankte Kinder kommen in der Regel mit ihren Eltern für zehn bis 14 Tage stationär zu uns in die Kinderklinik“, erklärt Ziegler. Im Anschluss an die Erstversorgung mit Absenken des meist sehr hohen Blutzuckers muss die richtige Insulindosis gefunden werden, um den Blutzuckerwert im Normalbereich zu halten. Ein wichtiger Teil des stationären Aufenthaltes sind Schulungen, beispielsweise zur Erkrankung selbst, dem Umgang mit Blutzuckermessgeräten und Insulinpens oder zur Funktion der Insulinpumpe. Ein weiterer zentraler Bestandteil des Aufenthalts ist die Ernährungsberatung, bei der die Familien lernen, wie eine ausgewogene Ernährung mit der Insulintherapie im Alltag vereinbart werden kann. Auch psychologisch werden die Familien unterstützt, denn die Diagnose Typ-1-Diabetes ist ein gravierender Einschnitt in das Familienleben. Da das Diabetesmanagement aufwendig ist, kann ein Elternteil oft nicht arbeiten gehen oder muss die Arbeitsstunden reduzieren. Dies trifft oft die Mütter, was in einer großen Studie aus dem Jahr 2021 gezeigt wurde. Um die finanziellen Einbußen etwas abzufedern, erhalten Kinder mit Typ-1-Diabetes einen Schwerbehindertenausweis, auch hierbei unterstützt das Team der Kinder-Diabetologie.
Die Insulinbehandlung ist die einzige Option bei Typ-1-Diabetes; was fehlt, muss ersetzt werden. Dies ist anders als beim Typ-2-Diabetes. Hier kann zunächst mit Bewegung, Diät oder anderen Medikamenten behandelt werden. „Kinder über sechs Jahre stellen wir zunächst auf eine Therapie mit einem Insulin-Pen ein“, erklärt Ziegler. Der Pen ähnelt einem Kugelschreiber, an dem die Insulindosis eingestellt werden kann. Morgens, mittags und abends spritzen sich die Kinder zu den Hauptmahlzeiten eine passende Dosis Insulin ins Gesäß, in den Bauch oder in den Oberschenkel. Zusätzlich erhalten sie morgens und abends ein langwirksames Insulin, das den Grundbedarf an Insulin im Körper abdeckt. Zur Blutzuckerüberwachung tragen seit 2017 nahezu alle unsere Patienten einen Glukosesensor, der in Echtzeit den aktuellen Glukosewert an ein Lesegerät oder ein Smartphone schickt. Der Sensor, der wie ein kleines, flaches Pflaster meist am Oberarm getragen wird, misst kontinuierlich den Glukosewert im Gewebe. Die Werte werden in Echtzeit an ein Lesegerät oder ein Smartphone gesendet. Bei Unter- oder Überzuckerungen wird ein Alarm ausgelöst. Dies bietet Sicherheit, vor allem in der Nacht oder bei jungen Kindern, die die typischen Beschwerden bei Unterzucker noch nicht wahrnehmen können. „Dies war eine Revolution in der Kinder-Diabetologie“, erklärt Ziegler. Das belastende Stechen in die Finger zur Kontrolle des Blutzuckers entfällt – nur in Ausnahmefällen muss „blutig“ gemessen werden. „Die zuverlässigste und beste Methode, den Körper mit Insulin zu versorgen, ist aber die Pumpentherapie“, erklärt Julian Ziegler. Vor etwa 5 Jahren kamen die ersten Systeme zur automatisierten Insulinabgabe auf den deutschen Markt. Diese Insulinpumpen arbeiten mit dem Glukosesensor zusammen und können auf erhöhte und auf erniedrigte Blutzuckerwerte mit der Anpassung der Insulinabgabe reagieren. Ganz automatisch funktioniert das System jedoch nicht: Vor kohlenhydrathaltigen Mahlzeiten muss über die App eingegeben werden, wie viele Gramm Kohlenhydrate gegessen werden. Nur so kann die Pumpe die Insulinmenge individuell und passend zur Mahlzeit berechnen. Beide Entwicklungen, Glukosesensor und automatisierte Insulinabgabe über die Insulinpumpe, sind eine wegweisende Innovation in der Kinderdiabetologie und helfen, die Belastungen der Erkrankung Diabetes mellitus zu reduzieren.
Berücksichtigt werden müssen nur Lebensmittel mit Kohlenhydraten, denn diese führen zu einem Anstieg des Blutzuckerspiegels. Ballaststoffe, Fette oder Proteine müssen in der Regel nicht berücksichtigt werden. Um ein Gespür für die Kohlenhydratmengen zu bekommen, macht es in der Anfangszeit zunächst Sinn, jedes kohlenhydratreiche Lebensmittel sorgfältig abzuwiegen. Mit der Zeit kennen Patientinnen und Patienten die Werte der wichtigsten Mahlzeiten auswendig, sodass der Alltag einfacher wird. Restaurantbesuche sind trotzdem oft eine Herausforderung. Ziegler und sein Team unterstützen Patientinnen und Patienten und ihre Eltern mit verschiedenen Hilfsmitteln und zusätzlichen Schulungen: „In einem Buch haben wir zum Beispiel typische Gerichte und Lebensmittel und deren Kohlenhydratmengen aufgelistet, an denen sich Kinder und Jugendliche orientieren können.“
Für Kinder mit Diabetes gilt: Eine ausgewogene und gesunde Ernährung ist genauso wichtig wie für jedes andere Kind. Eine gute Orientierung geben die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Ernährung: Vollkornprodukte, Obst, Gemüse und Fisch sind empfehlenswert, Fleisch und Milchprodukte können in Maßen gegessen werden. Stark verarbeitete Produkte sollten so gut wie möglich vermieden werden. „Süßigkeiten sind in begrenzten Mengen auch erlaubt. Wichtig ist, dass der Blutzucker vor dem Essen von Süßigkeiten nicht zu hoch ist“, erklärt Ziegler. Manchmal müssen Kinder dann ein wenig warten, bis der Blutzuckerspiegel durch die Gabe von Insulin gesunken ist.
Sport bei Diabetes ist möglich und wird empfohlen. Morgens nach dem Aufstehen die Laufschuhe zu schnüren und einfach loszulaufen, ist allerdings schwierig. Sporteinheiten müssen geplant und die Insulinabgaben über den Tag auf die Intensität des Sportes angepasst werden. Es gibt Leistungssportler, die Diabetes haben, der Tennisspieler Alexander Zverev oder der ehemalige Gewichtheber Matthias Steiner zum Beispiel. „Das ist mit einer aufwendigen Überwachung des Blutzuckerspiegels verbunden“, weiß der Kinder-Diabetologe Ziegler.
Menschen, die heutzutage aufgrund von ihrer Diabetes-Erkrankung erblinden, an die Dialyse müssen oder Fußamputationen erleiden, sind vor 40 oder 50 Jahren an Diabetes erkrankt und mit den damals verfügbaren Methoden behandelt worden. Insulinpumpen und Glukosesensoren gab es nicht. „Heute kann der Blutzuckerspiegel durch die Insulinpumpe sehr viel besser eingestellt werden, sodass Langzeitfolgen wie Nierenschäden, Netzhauterkrankungen und Erkrankungen an den Füßen zumindest bis ins hohe Alter verschoben werden können“, beruhigt Ziegler. Wichtig ist, dass neben einer guten Blutzuckereinstellung Menschen mit Diabetes sorgfältige Fußpflege betreiben. Eine regelmäßige Kontrolle der Nervenfunktion in den Beinen und Füßen ist dafür unerlässlich. Ist diese beeinträchtigt, lässt das Schmerz- und Temperaturempfinden nach. Betroffene bemerken dann kleine Verletzungen oft nicht, etwa wenn sich ein Stein im Schuh befindet. Solche Druck- oder Reibungsstellen können sich durch die eingeschränkte Durchblutung leicht entzünden und heilen schlecht.
Insulin ist ein lebenswichtiges Hormon, das den Blutzuckerspiegel reguliert. Es sorgt dafür, dass Zucker (Glukose) aus dem Blut in die Körperzellen gelangen kann – dort wird er als Energiequelle genutzt. Besonders nach dem Essen wird Insulin ausgeschüttet. Es öffnet spezielle Transporter an den Zellen, durch die Glukose ins Zellinnere gelangt. Ohne Insulin bekommen Zellen keine Glukose zur Energiegewinnung.
Typ-1-Diabetes:
Autoimmunerkrankung: Das Immunsystem zerstört die insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse (Beta-Zellen). Anfangs ist noch etwas Insulin vorhanden, doch die Anzahl der Beta-Zellen nimmt kontinuierlich ab – bei kleinen Kindern oft schneller als bei älteren.
Schneller Verlauf: Entwickelt sich meist innerhalb weniger Wochen – besonders bei Kindern.
Häufige Auslöser: Starke Infekte oder Stresssituationen können den Ausbruch beschleunigen, eine genaue Ursache ist bis heute nicht bekannt.
Häufigkeit: Bei Kindern deutlich häufiger – auf ein Kind mit Typ-2-Diabetes kommen etwa 35 Kinder mit Typ-1-Diabetes.
Typ-2-Diabetes:
Ist eine Multiorganerkrankung: Häufig genetisch bedingt; die Insulinwirkung ist beeinträchtig und führt damit zu erhöhtem Blutzucker
Langsamer Verlauf: Entwickelt sich schleichend über Jahre – bei Kindern seltener.
Risikofaktoren: familiäre Belastung, Übergewicht, Bewegungsmangel, unausgewogene Ernährung
Vorbeugung möglich: Ein gesunder Lebensstil von klein auf schützt.