Es begann kurz nach ihrer Geburt, als Leni die Flasche immer wieder ausspuckte und Nahrung nicht bei sich behalten konnte. Für die Eltern unbegreiflich: „Nach dem dritten Tag habe ich selbst gesagt, irgendetwas stimmt nicht“, erinnert sich Lenis Mutter. Ein erster Ultraschall beim heimischen Kinderarzt zeigte direkt, dass Lenis Gallenblase nicht gut entwickelt war. Das beeinträchtigt die Verdauung. Die Folge: Leni nahm nur schwer zu.
Woher die Funktionsstörung kam, wusste keiner. Zur Untersuchung fuhr die Familie in die Tübinger Uniklinik für Kinder- und Jugendmedizin. Dort stellte Dr. Ekkehard Sturm, Leiter der Kindergastroenterologie, die Diagnose: Gallengangsatresie, eine seltene Erkrankung der Gallenwege. Die Gallenwege sind entzündet, das führt zu Verklebungen und Vernarbungen“, erklärt Sturm. Die von der Leber produzierte Gallenflüssigkeit kann nicht in den Darm abfließen. Es entsteht ein Gallestau in der Leber, der die Leber nach und nach zerstört.
Weshalb manche Neugeborene eine Gallengangsatresie entwickeln, ist noch unklar. Eine Infektion der Gallengänge – beispielsweise zum Zeitpunkt der Geburt – könnte jedoch Auslöser sein, so vermuten Fachleute. „Die kleinen Patienten und Patientinnen, die zu uns kommen, haben häufig die für Lebererkrankungen typische Gelbsucht. Gleichzeitig ist ihr Stuhl weiß entfärbt“, beschreibt Sturm die charakteristischen Symptome. Die richtige Diagnose der Erkrankung, so Sturm, muss möglichst frühzeitig erfolgen: „Nur so kann die Kasai-Operation, ein spezieller Eingriff, mit guten Erfolgschancen durchgeführt werden“.
Besondere OP-Technik
Die erste erfolgreiche Operation einer Gallengangsatresie wurde von dem japanischen Chirurgen Morio Kasai durchgeführt, die Operationsprinzipien sind heute noch gültig. In der Kasai-Operation werden die entzündlichen Gallenwege bis zur Leberpforte entfernt und eine Gallenableitung in den Dünndarm wird vorgenommen. „Das ist nicht einfach“, weiß Prof. Jörg Fuchs. Der Ärztliche Direktor der Tübinger Kinderchirurgie und Kinderurologie ist Referenzchirurg für diese komplexe Operation: „Wir müssen unter Einsatz mikrochirurgischer Technik sehr weit in die Leber hineinpräparieren. Dabei schalten wir eine Dünndarmschlinge aus und nähen diese an die Leberpforte. So kann die Galle aus den angeschnittenen Gallenwegen der Leber in den ausgeschalteten Darm fließen“. Etwas tiefer trifft die Galle schließlich auf den Nahrungsbrei aus dem Magen und ermöglicht eine normale Verdauung der Nahrung, aber auch der besonderen Fette.
Der Kindergastroenterologe Dr. Ekkehard Sturm hat Leni behandelt.
Nicht allen Betroffenen kann dieser Eingriff helfen, denn der Zeitpunkt der OP spielt eine überaus wichtige Rolle. Wenn der Eingriff später als nach der achten Lebenswoche erfolgt, muss häufiger eine neue Leber transplantiert werden. Je früher die Diagnose gestellt und je früher operiert wird, umso größer ist die Überlebenschance für die Kinder.
Gute Prognose für die Zukunft
Bei Leni war der Eingriff erfolgreich. Mit gerade einmal fünf Wochen wurde sie operiert. Um ihre Leber in den ersten Jahren nach der Operation zu unterstützen, nahm sie über vier Jahre lang Medikamente ein, Vitamine und ausreichend Fette muss sie auch heute noch zu sich nehmen.
Ein Restrisiko bleibt trotzdem. „Bei vielen Patienten und Patientinnen muss irgendwann eine Transplantation durchgeführt werden“, weiß Kinderarzt Sturm. Medikamente, die zu einer Entlastung des Leberstoffwechsels führen, werden zurzeit entwickelt und erprobt. „Ich bin zuversichtlich, dass wir mit diesen neuen Arzneimitteln die Regeneration der Leber in dieser kritischen Phase weiter verbessern können. Damit würde die Zahl der Kinder, die mit der eigenen Leber vor allem in den ersten Lebensjahren weiterleben können, stetig wachsen“.
Die Uniklinik für Kinder- und Jugendmedizin klärt Gallengangsatresien schnell und zielgerichtet ab. In der spezialisierten Kindergastroenterologie stehen alle diagnostischen Möglichkeiten zu Verfügung. Vom Säuglings- bis zum Erwachsenenalter werden Patientinnen und Patienten eng von einem spezialisierten Team betreut.