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01.07.2022

FAMILIÄRER BRUST- UND EIERSTOCKKREBS - Eine interdisziplinäre Aufgabe

Etwa jede achte Frau erkrankt im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs und circa eine von hundert Frauen an Eierstockkrebs. Bei einem kleinen Anteil der Brustkrebserkrankungen (< 10 %) und bei einem nicht unwesentlichen Anteil der Eierstockkrebserkrankungen (15–20 %) liegt eine erbliche (genetische) Tumorneigung vor.

Die häufigste Ursache für erblichen Brust- und Eierstockkrebs sind Veränderungen (Keimbahnmutationen) in den Genen BRCA1 und BRCA2. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einer erblichen Veranlagung für Brust- und Eierstockkrebs, da diese Keimbahnmutation von einem Elternteil geerbt wurde und mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent an die eigenen Kinder weitergegeben wird. Typischerweise finden sich in den betroffenen Familien mehrere an Brust- und/ oder Eierstockkrebs Erkrankte, wobei die Krebserkrankungen häufig bereits vor dem 50. Lebensjahr auftreten. So haben gesunde Frauen mit einer Mutation in den Hochrisikogenen BRCA1 und BRCA2 ein Risiko von 46 bis 87 Prozent an Brustkrebs und ein Risiko von 16,5 bis 63 Prozent an Eierstockkrebs zu erkranken.

Liegt der Verdacht für eine genetische Veranlagung vor, so wird die genetische Beratung empfohlen, die eine ausführliche Familienanamnese mit kompletter Stammbaumanalyse über drei Generationen beinhaltet. Hierbei wird die individuelle Risikosituation der Ratsuchenden analysiert und dabei überprüft, ob eine molekulargenetische Testung der Ratsuchenden empfohlen werden kann. Ist dies der Fall, kann in der Humangenetik durch eine einfache Blutabnahme eine sogenannte Genpanel-Diagnostik mittels Next-Generation-Sequencing durchgeführt werden. Hierbei wird geklärt, ob eine Mutation in den Hochrisikogenen (BRCA1, BRCA2, TP53, PALP2) sowie in den moderaten Risikogenen (ATM, CHEK2, PTEN,CDH1, BARD1 und RAD51C/D) vorliegt, welche auch mit anderen Krebserkrankungen wie zum Beispiel dem Magenkarzinom, Kolonkarzinom oder Pankreaskarzinom assoziiert sein können.

Im Falle des Mutationsnachweises wird die Teilnahme an einem intensivierten diagnostischen Früherkennungsprogramm empfohlen, welches im Rahmen der Brustkrebsfrüherkennung ab dem 25. Lebensjahr für die Hochrisikogene BRCA1 und BRCA2 angeboten wird. In der Brustsprechstunde der Universitätsfrauenklinik stehen dafür die modernsten Diagnoseverfahren, wie hochauflösender Ultraschall, digitale Mammografie, Kernspintomographie sowie minimalinvasive Methoden zur feingeweblichen Sicherung, falls notwendig, zur Verfügung. Damit können nichtgutartige Veränderungen im Brustdrüsengewebe frühestmöglich erkannt werden. Zudem besteht die Möglichkeit, sich am Universitäts-Brustzentrum Tübingen ausführlich bezüglich prophylaktischer Maßnahmen wie Brustdrüsen- und Eierstockentfernung beraten zu lassen. Durch eine prophylaktische beidseitige Brustdrüsenentfernung kann das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, um mindestens 95 Prozent gesenkt werden. Entscheidend ist hierbei, dass die Brustdrüse komplett und vor allem anatomisch korrekt entfernt wird. Diese Maßnahme wird als hautsparende Brustdrüsenentfernung mit gleichzeitiger Wiederherstellung angeboten, sodass die natürliche Brustform und die Lebensqualität erhalten bleiben. Die Wiederherstellung der Brust kann durch Implantate oder durch körpereigenes Gewebe erfolgen. Eigengewebe kann aus unterschiedlichen Körperregionen wie dem Rücken (Latissimus dorsi), dem Bauch (TRAM, DIEP), der Poregion (SGAP, FCI) oder der Oberschenkelinnenseite (Gracilis) gewonnen werden und kommt dem Gefühl der eigenen Brust sehr nahe. Alle diese Rekonstruktionsformen werden an der Universitätsfrauenklinik von Experten angeboten.

Eierstockkrebs kann mit den gegenwärtigen Früherkennungsmaßnahmen nicht ausreichend erkannt werden. Damit sind die Früherkennungsmaßnahmen beim Eierstockkrebs weit weniger effektiv als beim Brustkrebs. Durch die Verfahren der klinischen Untersuchung, transvaginaler Ultraschall und Tumormarkerbestimmung CA 125 kann eine Verringerung der Sterblichkeit für Eierstockkrebs nicht erreicht werden. Die einzige zuverlässige Methode ist die primäre Prävention in Form der laparoskopisch durchgeführten beidseitigen prophylaktischen Salpingo-Oophorektomie. Dabei werden minimalinvasiv (= Schlüsselloch-Chirurgie) Eierstöcke und Eileiter entfernt und so bei Mutationsträgerinnen das Eierstockkrebsrisiko um fast 95 Prozent gesenkt und zudem das verbleibende Brustkrebsrisiko fast halbiert, wie in Studien gezeigt werden konnte. Empfohlen wird diese operative Prophylaxe nach abgeschlossener Familienplanung, frühestens ab dem 35. Lebensjahr für BRCA1-Mutationsträgerinnen und ab 40. Lebensjahr für BRCA2- Mutationsträgerinnen. Dabei kann bei Frauen vor den Wechseljahren nachfolgend eine Hormonersatztherapie eingesetzt werden.

Bei Frauen, bei denen eine Krebserkrankung vorliegt, kann bereits heute durch den Nachweis einer genetischen Veränderung in einem der Risikogene eine moderne und individualisierte Therapie eingeleitet werden. So wird derzeit sowohl beim Eierstockkrebs als auch beim lokal fortgeschrittenen/metastasierten Brustkrebs die zielgerichtete Krebstherapie mit PARP-Inhibitor bei BRCA-Mutationsträgerinnen erfolgreich eingesetzt.

Wie wichtig bei all den genannten klinischen Entscheidungen die ausführliche mehrstufige Beratung der Ratsuchenden durch die Humangenetiker und Gynäkologen ist, zeigen zahlreiche psychoonkologische Untersuchungen. So führt eine intensive Aufklärung über die bestehenden Risiken nicht zu mehr Ängsten bei den Betroffenen, sondern im Gegenteil zu einer Reduktion der bestehenden Ängste. Jeder Ratsuchenden wird ein bedarfsgerechtes Unterstützungsangebot durch die Psychoonkologen der Abteilung für Psychosomatische Medizin angeboten. Darüber hinaus leistet das BRCA-Netzwerk, in dem sich Frauen mit diesen genetischen Veränderungen zusammengeschlossen haben, einen entscheidenden Beitrag zum Informationsaustausch und zur Unterstützung der Ratsuchenden.

Die Betreuung von Frauen mit familiärem Brust- und Eierstockkrebs ist eine interdisziplinäre Aufgabe. Im Rahmen der jährlichen Informationsveranstaltung „Ein Tag für Betroffene, Ratsuchende und interessierte Ärztinnen und Ärzte“ im Oktober 2022 wird die Frauenakademie des Departments für Frauengesundheit mit allen ihren Expertinnen und Experten das Betreuungskonzept am Zentrum für familiären Brust- und Eierstockkrebs vorstellen. Dabei werden Fragen zu prophylaktisch operativen Maßnahmen erörtert, neue Entwicklungen in Genetik und Therapie dargestellt und auf psychoonkologische Aspekte eingegangen. Im Rahmen der Expertenrunde wird es für alle Interessierte viel Raum für Fragen und Möglichkeiten zum regen Austausch geben.

PRIV.-DOZ. DR. MED. I. GRUBER
FÜR DAS TEAM DES UNIVERSITÄTSBRUSTZENTRUMS TÜBINGEN


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