Entschlüsselung des Mikrobioms

Welches Bakterium im Mikrobiom steigert die Risiken für Darmkrebs und entzündliche Darmerkrankungen? Mit einem Starting Grant des ERC von rund 2 Millionen Euro treibt Dr. Lukas Mager die Mikrobiom-Forschung voran. Erste Zusammenhänge zwischen einzelnen Bakterien und Krankheitsrisiken hat man schon gefunden

Das Nadelöhr, durch das Dr. Lukas Mager sich und seine Forschungsvorhaben zwängen musste, war winzig, die Konkurrenz war groß. Doch er hat es geschafft: Lukas Mager, Forscher an der Medizinischen Fakultät und Leiter einer Max-Eder Nachwuchsgruppe in der Inneren Medizin I des Universitätsklinikums Tübingen, hat einen der begehrten Starting Grants des Europäischen Forschungsrates (ERC) eingeworben.

Ausgezeichnet mit einem Starting Grant des European Research Council: Dr. Lukas Mager

Allein dem ersten schriftlichen Antrag widmete Lukas Mager mehrere Wochen. Über der ganzen Anstrengung lag immer der Schatten, dass es vergeblich sein könnte – weit weniger als jede zehnte Bewerbung erhält einen Starting Grant. „Dass ich erfolgreich war, liegt auch an der Unterstützung vieler Kolleginnen und Kollegen“, sagt Mager. Und es liegt, natürlich: an ihm und seiner Forschung.

Das Mikrobiom spielt eine Rolle bei der Erhaltung von Gesundheit und bei der Entstehung von zahllosen Krankheiten, darunter auch Krebs, Diabetes und entzündliche Erkrankungen, das gilt inzwischen als sicher. Vor allem durch die Forschungsergebnisse der letzten zehn Jahre ist der große Einfluss des Mikrobioms noch einmal bekräftigt worden, selbst für den Stoffwechsel im Gehirn und das Verhalten konnte in einzelnen Studien ein Zusammenhang zum Mikrobiom gezeigt werden.

Die Forschung von Dr. Mager setzt an der Schnittstelle zwischen den Bereichen Mikrobiom und Krebs an.

Doch bis jetzt lässt sich daraus für Prävention, Diagnostik und Therapie – für die klinische Praxis – nur begrenzt Nutzen ableiten. Die Situation ist vergleichbar mit den Kenntnissen über das Genom in den 1990er Jahren: Alle wussten über die vielen Einflüsse des Genoms Bescheid – aber über welche Gene wie genau Einfluss genommen wird, dazu fehlten meist die Kenntnisse. Beim Mikrobiom ist es ähnlich: Mehrere Hundert verschiedene Bakterien enthält das Mikrobiom jedes Individuums, aber welcher Bakterienstamm wie wirkt, ist noch weitgehend unbekannt. Hier kommen Lukas Mager und seine Forschungsgruppe ins Spiel. Sie versuchen im Grunde, die Wirkung von spezifischen Bakterien in Patienten mit Darmkrebs und chronisch entzündlichen Darmerkrankungen zu entschlüsseln.

„Wir versuchen gezielt diejenigen Bakterien zu identifizieren, die durch Interaktion mit dem Körper die Entstehung entzündlicher Darmerkrankungen und des Kolonkarzinoms beeinflussen sowie das Ansprechen auf klinisch eingesetzten Therapien modulieren“, sagt Mager. Entsprechend lautet der Titel seines Starting Grants: „Systematic Triangulation of Pathobiont-Host-interactions“. Um mögliche Pathobionten – Bakterien welche Krankheiten begünstigen - zu finden und womöglich direkt einen Zusammenhang auch zwischen etwaigen Risikofaktoren des Patienten (z.B.: Ernährung, Genetik, Lifestyle und anderes) herzustellen, kommt unter anderem maschinelles Lernen zum Einsatz.

Eines der größten Probleme dabei war lange die große Anzahl der verschiedenen Bakterien. „Ich habe eine Technologie entwickelt, die uns hilft, dass wir die Hunderten von Bakterien auf ungefähr 10 bis 20 krankheitsrelevante Bakterien reduzieren können, um diese dann gezielt zu untersuchen. Das hat unsere Arbeit enorm erleichtert“, sagt Mager. Mittels maschinellen Lernens werden dann die Daten zusammengeführt um Fragen zu stellen wie: Welcher Pathobiont nutzt welchen Risikofaktor des Patienten aus um eine Krankheit auszulösen oder voranzutreiben? Wie reagiert das Immunsystem auf den jeweiligen Pathobiont? „Wir haben schon einen ersten klaren Kandidaten gefunden, der mit einem Risikofaktor für entzündliche Darmerkrankungen verknüpft zu sein scheint. Jetzt überprüfen wir unserer Erkenntnisse und denken darüber nach wie wir unser Wissen in den klinischen Alltag und zur besseren Behandlung der Patienten einfließen lassen können. Das ist für uns alle sehr spannend“, sagt Mager. Vielleicht haben sich manche Genomforscher um die Jahrtausendwende ähnlich gefühlt.

Doch das ist erst der Anfang. „Das Ziel muss es sein, eine Vielzahl von Pathobionten zu identifizieren, die Einfluss auf bestimmte Risikofaktoren haben. Das kann nicht nur diagnostisch enorm hilfreich sein, um diejenigen Menschen zu finden, die ein erhöhtes Krankheitsrisiko haben, und bei ihnen Primärprävention zu betreiben. Die Pathobionten bieten auch therapeutische Ansatzpunkte“, sagt Mager. So sei es etwa vorstellbar, bestimmte Pathobionten mit einem schmal wirksamen Antibiotikum gezielt zu dezimieren, um das Krankheitsrisiko so zu senken.

Doch so weit ist man noch nicht. Zunächst gilt es, weiter nach Erkenntnissen zu suchen: einzelne Pathobionten zu identifizieren und ihre Rolle zu spezifizieren. Dank des Starting Grants des ERC stehen Mager und seinem Team dazu nun ausreichend Mittel zur Verfügung.

Lukas Magers Arbeitsplatz: Das M3 Forschungszentrum verbindet Malignom-, Mikrobiom- und Metabolomforschung

„Ich erinnere mich noch, als die Zusage kam. Das Einloggen auf der Seite des ERC funktionierte an dem Tag nicht, ich konnte nicht nachschauen, ob schon eine Entscheidung getroffen wurde. Ich erfuhr dann von der Zusage durch eine Gratulationsmail von der Medizinischen Fakultät. Ich war vor Glück völlig überwältigt: Auch, weil ich wusste, dass ich jetzt einen deutlich größeren Hebel habe, um unsere Forschung voranzutreiben“, erinnert sich Mager. 

Seit Januar 2024 ist der mit rund 2 Millionen Euro dotierte Starting Grant angelaufen, die Arbeitsgruppe von Lukas Mager hat sich um mehrere neue Promovenden und Forschende vergrößert. Das macht Tübingen zu einem bedeutenden Hub, an dem das Mikrobiom Schritt für Schritt entschlüsselt wird.