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06.04.2023

ENDOMETRIOSE - DAS „CHAMÄLEON“ DER GYNÄKOLOGIE

Obwohl das Krankheitsbild der Endometriose schon lange bekannt ist, hat es erst in den letzten Jahren eine deutlich zunehmende mediale Präsenz erfahren und ist damit auch immer mehr in den Fokus von Öffentlichkeit und Wissenschaft gerückt. Trotzdem werden Symptome von betroffenen Frauen immer noch zu häufig fehlgedeutet oder unterschätzt, Regelschmerzen als „normal“ hingenommen und damit die Diagnosestellung verzögert beziehungsweise die erforderliche Therapie verspätet eingeleitet.

REGELSCHMERZEN, SCHMERZEN IM UNTERLEIB UND UNERFÜLLTER KINDERWUNSCH: TYPISCHE SYMPTOME EINER ENDOMETRIOSE.

 JEDE ZEHNTE FRAU HAT ENDOMETRIOSE. SCHON JUNGE FRAUEN KÖNNEN DAVON BETROFFEN SEIN.

Es handelt sich bei der Endometriose zwar um eine gutartige Erkrankung, welche jedoch häufiger auftritt, als in der Vergangenheit angenommen, und für die Betroffenen sehr oft mit enormen Einschränkungen und Lebensqualitätseinbußen verbunden ist. Hinzu kommt, dass hohe Krankheitskosten und Ausfälle der Frauen im Berufsleben volkswirtschaftlich von enormer Bedeutung sind.

Wenn Frauen während ihrer monatlichen Regelblutung von heftigen Schmerzen geplagt werden, denken die wenigsten an eine ernsthafte Erkrankung. Doch starke Unterleibsschmerzen sind nicht normal. Oft können auch Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, beim Wasserlassen oder auch beim Stuhlgang auftreten. Diese Schmerzen sollten in jedem Falle gynäkologisch abgeklärt werden. Immerhin kann in bis zu 70 bis 80 Prozent der Fälle eine Endometriose ursächlich für die Schmerzen oder auch für ungewollte Kinderlosigkeit sein.

In Deutschland ist jede zehnte Frau von einer Endometriose betroffen, darunter auch viele junge Frauen, da diese chronische Erkrankung oft schon mit der ersten Regelblutung einsetzt. Die Tatsache, dass sie zudem hormonabhängig ist, bedeutet gleichzeitig, dass Frauen bis zu den Wechseljahren damit konfrontiert sein können.

Leider ist die Zeit zwischen dem ersten Auftreten von Symptomen bis zur Diagnosestellung in vielen Fällen immer noch zu lang. Die Gründe hierfür sind vielfältig, unter anderem spielt es eine Rolle, dass betroffene Patientinnen viel zu spät in ein Expertenzentrum kommen. Es dauert durchschnittlich sechs bis sieben Jahre, bis die richtige Diagnose gestellt und die passende Therapie eingeleitet wird. Daher gilt: Aufklärung ist und bleibt dringend erforderlich!

Endometriose – gutartig, lästig, aber behandelbar

Unter einer Endometriose versteht man das Auftreten von Gebärmutterschleimhaut außerhalb der Gebärmutter. Gutartige Wucherungen dieser „versprengten“ Gebärmutterschleimhaut können sich an unterschiedlichen Stellen im kleinen Becken (Gebärmutterwand, Eierstöcke, Eileiter, Bauchfell) ansiedeln. Sie können aber auch in manchen Fällen in der Blase, im Darm oder am Zwerchfell, selten gar außerhalb der Bauchhöhle zum Beispiel in der Lunge nachgewiesen werden.

Diese Schleimhautinseln werden mit dem weiblichen Zyklus aufund wieder abgebaut. Doch anders als in der Gebärmutter kann das Blut nicht nach außen abfließen. Mit der Zeit können die Endometrioseherde immer größer werden und mit „schokoladeartiger“ Flüssigkeit gefüllte Zysten (Endometriome) können entstehen. Verstärkte Blutungen und häufig sehr ausgeprägte Schmerzen sind die Folge und stellen typische Symptome der Endometriose dar. Sind Organe wie Darm, Harnblase oder Harnröhre befallen, können weitere Symptome hinzukommen. Diese sind nicht selten auch deutlich weniger typisch. Durch eine in der Umgebung der Endometriose zusätzlich auftretende Entzündungsreaktion entstehen Verwachsungen beziehungsweise Vernarbungen, die ihrerseits die typischen Symptome verstärken, wodurch ein Teufelskreis entsteht.

Auch unerfüllter Kinderwunsch lässt sich häufig auf eine Endometriose zurückführen. Bei 30 bis 50 Prozent der Frauen, die ungewollt kinderlos bleiben, lässt sich Endometriose nachweisen. Vor allem Verklebungen der Eileiter, aber auch Verwachsungen in der Bauchhöhle sind hierfür ursächlich.

Die unterschiedliche Ausprägung der Endometriose, aber auch die häufig anzutreffende Diskrepanz zwischen Befundausprägung und Schmerzempfindung beziehungsweise Einschränkung der Lebensqualität betroffener Frauen machen die Diagnose und Therapie der Endometriose zu einer Herausforderung. Eine genaueste Kenntnis der Beschwerden sowie des Krankheitsverlaufs und eine entsprechend gründliche gynäkologische Untersuchung, auch zum Ausschluss möglicher anderer Erkrankungen mit ähnlichem Beschwerdebild (z. B. Myome), sind als Voraussetzung für die Auswahl der richtigen Therapie unabdingbar. Nicht zuletzt sind es aber auch die Lebensumstände der Patientin, die bei der Auswahl der geeigneten Vorgehensweise berücksichtigt werden müssen.

In jedem Falle gilt: Endometriose muss zügig erkannt und individuell mit dem nötigen Augenmaß behandelt werden. Bereits bei Verdacht auf Endometriose sollte frühestmöglich durch ein gut funktionierendes Netzwerk zwischen Praxis und Endometriosezentrum eine entsprechende Diagnostik und Weiterbehandlung der Frauen eingeleitet werden. Um die Zeit zwischen Verdachtsdiagnose und entsprechender endgültiger Behandlung so kurz wie möglich zu halten, stehen unseren Patientinnen am Department für Frauenheilkunde der Universitätsklinik Tübingen die Experten des Fertility Centers zur Seite, die interdisziplinär auf kürzestem Wege eine optimale Betreuung der Patientinnen gewährleisten.

Durch engste Zusammenarbeit zwischen unserem Endometriosezentrum der höchsten Qualitätsstufe (Level III) und den beteiligten Partnern im Kinderwunschzentrum lässt sich somit ein solches Konzept nahtlos umsetzen.

Die Behandlung der Endometriose hat viele Facetten. So individuell, wie die Beschwerden oft sind, muss auch die Therapie der jeweiligen Situation angepasst werden. Neben der akuten Behandlung der Beschwerden mit schmerz- und krampflösenden Medikamenten ist in der mittel- und langfristigen Therapie der Endometriose eine Operation, begleitet von einer hormonellen Therapie, oft unumgänglich. Dabei erfolgt auch der Einsatz dieser hormonellen Präparate sehr individuell. Eine inzwischen hohe Anzahl an Wirkstoffen und Präparaten macht es meistens möglich, für die jeweilige Patientin eine medikamentöse Therapie zu finden, welche die erwünschte Wirksamkeit bei möglichst minimalem Nebenwirkungsspektrum aufweist. So kann der Einsatz hormoneller Präparate im Sinne einer alleinigen Behandlungsoption vor allem bei sehr jungen Frauen, bei welchen man zunächst eine Operation möglichst vermeiden möchte, gesehen werden oder eine prophylaktische Maßnahme nach erfolgreicher Operation darstellen.

Nicht selten ist eine operative Vorgehensweise aber unumgänglich. Durch die höchste Expertise der Beteiligten auch bereits im präoperativen Setting, also im Rahmen der Vorbereitung einer Operation, zum Beispiel bei der Ultraschalluntersuchung, lässt sich bereits sehr früh eine möglichst exakte Aussage über das Ausmaß einer anstehenden Operation treffen, einschließlich der damit verbundenen Risiken und Komplikationen. Durch die möglichst genaue Planung eines Eingriffs, gegebenenfalls unter Einbezug der KollegInnen aus Urologie und Allgemeinchirurgie, lässt sich eine interdisziplinäre gemeinsame Behandlungsstrategie frühzeitig in die Wege leiten, adäquat umsetzen, und Folgeeingriffe für die Patientin können vermieden werden. Bei entsprechender Expertise sind diese Eingriffe schließlich in der Mehrzahl der Fälle auf minimalinvasivem Wege, also per Bauchspiegelung, möglich.

Ergänzend können zur Behandlung der Endometriose auch supportive Maßnahmen wie Ausdauersport, Yoga, Akupunktur, Physiotherapie oder Osteopathie und anderes eingesetzt werden. Eine Ernährungsberatung oder psychologische beziehungsweise psychosomatische Mitbehandlung kann ebenfalls sinnvoll sein.

Neben der Behandlung von Patientinnen ist unser universitäres Endometriosezentrum stets bestrebt, im Rahmen mehrerer innovativer Studien auch wissenschaftlich zu einem besseren Verständnis der Endometriose und ihrer Entstehung einerseits, zu einer weiteren Verbesserung der Diagnostik und Behandlung andererseits beizutragen.

In Zusammenarbeit mit der Europäischen Endometriose Liga lädt die Frauenakademie des Forschungsinstituts für Frauengesundheit und das Endometriosezentrum der Universitäts-Frauenklinik zudem regelmäßig zu Informationsveranstaltungen über Symptome, Behandlungsmöglichkeiten und Bewältigungsstrategien ein.

Ziel ist die fortwährende Aufklärung und Schaffung des nötigen Bewusstseins für Endometriose sowohl aufseiten der Betroffenen als auch aufseiten der betreuenden Ärztinnen und Ärzte, um auf diese Weise für unsere Patientinnen schnellstmöglich das optimalste Behandlungskonzept erarbeiten und umsetzen zu können.

DR. MED. JÜRGEN ANDRESS
UND
PROF. DR. BERNHARD KRÄMER
FÜR DAS TEAM DES ENDOMETRIOSEZENTRUMS DER UNIVERSITÄTS-FRAUENKLINIK TÜBINGEN

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