Impfen gegen Krebs

Prof. Dr. Juliane Walz forscht an der Universität Tübingen an Impfstoffen gegen Krebs. Der Schlüssel: tumorspezifische Peptide, welche die T-Zellen im Kampf gegen den Tumor aktivieren. Doch kann der Impfstoff die 15-jährige Marlene retten?

Der Moment, an dem die Hoffnung klebt, dauert nur wenige Sekunden. Marlene*, 15 Jahre alt, wartet auf einer Liege in der Klinische Kooperationseinheit (KKE) Translationale Immunologie der Medizinischen Klinik am Universitätsklinikum Tübingen auf die Spritze. Sie wird die Erste sein, die gegen das fibrolamelläres hepatozelluläres Karzinom – ein seltener Leberkrebs, der vor allem junge Menschen befällt – geimpft werden wird. Es ist ein individueller Heilversuch. Möglich nur, weil andere Therapien bisher versagt haben. Eine letzte Chance.

Seit 1. April 2022 W3-Professorin für Peptid-basierte Immuntherapie: Prof. Dr. Juliane Walz

Juliane Walz, Professorin für Peptid-basierte Immuntherapie und medizinische Direktorin der KKE Translational Immunologie, setzt die Nadel am Unterbauch von Marlene an. Ein Piks, ein Pflaster – das war´s. In vier Wochen gibt es die erste Untersuchung, dann wird sie auch die zweite Impfung bekommen. Dann werden sie mehr darüber wissen, ob es funktioniert hat. Die Peptid-basierte Immuntherapie ist ein neuer und vielversprechender Ansatz, bei dem mit tumorspezifischen Peptiden die T-Zellen als hocheffektive Abwehrzellen des Immunsystems aktiviert werden sollen. "Unser Ziel sind Impfstoffe für Tumorpatienten", sagt Juliane Walz. "Wir wollen so die Prognose von Tumorpatienten verbessern". In ihrer Abteilung für Peptid-basierte Immuntherapie am Universitätsklinikum Tübingen sucht sie deshalb mit ihrem Team nach den tumorspezifischen Peptiden.

Gewebeproben werden im Kühlraum bei minus vier Grad mit einem Skalpell zerlegt, zerkleinert und über Nacht gefiltert. Manchmal finden sie so tausende verschiedene, manchmal bis zu zehntausend unterschiedliche Peptide. Doch welche sind so spezifisch für den jeweiligen Tumor, dass die T-Zellen aktiviert werden? Es ist die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen.

Jedes Peptid muss im Massenspektrometer analysiert und mit einer Datenbank, die so groß ist, dass es dafür inzwischen einen externen Server braucht, abgeglichen werden.

Eine Übereinstimmung mit Peptiden, die schon einmal auf Tumorgewebe gefunden wurden und nie auf gesundem Gewebe, ist ein Treffer. Beim fibrolamellären Karzinom stieß der Doktorand Jens Bauer im Labor auf vielversprechende Peptide. "Das Besondere an dieser seltenen Form des Leberkrebs ist eine Genfusion" erklärt Juliane Walz. Das heißt:  Bei allen Patienten und Patientinnen findet sich ein bestimmtes Fusionsprotein – das DNAJB1-PRKACA-Fusionsprotein. 

Vier Wochen nach Marlenes Impfung wird ihr Blut nach diesen T-Zellen untersucht. An der Einstichstelle hat sich bereits die charakteristische Verhärtung gebildet, ähnlich wie ein zusätzlicher Lymphknoten. Ein gutes Zeichen. Durch die spezielle Formulierung des Impfstoffes, bleibt der Impfstoff lokal an der Impfstelle. Das heißt, die Immunzellen wandern sozusagen zur Einstichstelle und dann zurück ins Blut und zum Tumor.

Doch im Labor kann Juliane Walz kaum T-Zellen finden. Das Problem: Marlene nimmt immunsupprimierende Medikamente, damit ihr Körper die Spenderleber, die Sie auf Grund des weit fortgeschrittenen Tumors erhalten hatte nicht abstößt. Absetzen kann sie die Medikamente nicht.

Juliane Walz war dennoch zuversichtlich. "Die Voraussetzungen waren alle erfüllt", sagt sie. Alle Tests vor der Produktion des Impfstoffes waren positiv. Die Peptide aus dem Fusionsprotein riefen eine T-Zellenantwort hervor. Dem Impfstoff wurde ein Adjuvans beigemischt, um die Wirkung zu potenzieren. Doch Juliane Walz weiß auch: Es ist nur ein Versuch – die Vorstufe noch zu den klinischen Studien.

Und trotzdem: Am Hoffen kommt man nicht vorbei. Würde die Therapie funktionieren, könnte nicht nur Marlene wieder gesund werden. Vier Wochen nach der ersten Impfung bekommt Marlene die zweite Dosis. Wieder wird ihr Blut untersucht. Im Labor analysiert Juliane Walz mit ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen die Proben: Dieses Mal hat das Immunsystem reagiert. Es gibt eine starke T-Zellen-Antwort.

So stark, dass Marlene bis heute keine Rückfälle mehr hatte  - drei Jahre ist das nun her. Sie konnte die Schule abschließen, macht aktuell ein freiwilliges soziales Jahr. Sie kann leben. Basierend auf diesen ermutigenden Ergebnissen wird der Fusions-basierte Peptidimpfstoff aktuell in einer klinischen Phase I Studie, kombiniert mit dem Immuncheckpointinhibitor Atezolizumab (zur Verfügung gestellt von der Firma Roche), erprobt.

Sogenannte Peptide (Proteinbruchstücke) befinden sich an der Außenhülle von Zellen und signalisieren dem Immunsystem, ob eine Körperzelle gesund oder krank ist.

Dabei wurden nicht nur Patienten mit fibrolamellärem Karzinom in die Untersuchung mit aufgenommen, sondern auch Personen mit Tumoren der Bauchspeicheldrüse und Gallengänge. Denn auch dort wurde inzwischen das Fusionsprotein DNAJB1-PRKACA entdeckt. Die Studie wird von der Else Kröner-Fresenius-Stiftung, dem Zentrum für seltene Erkrankungen und der Medizinischen Fakultät Tübingen finanziert.

* Name geändert