Bettina Weigelin erforscht im einzigen onkologischen Exzellenzcluster Deutschlands mikroskopische Verfahren, mit denen sich unter anderem lebendiges Gewebe auf zellulärer Ebene beobachten lässt. Insbesondere für Immuntherapien trägt das zum Verständnis bei – und zur Verbesserung der Behandlung.
Medizin – sie ist häufig noch immer eine Black Box. Das gilt besonders für die Forschung, aber auch für den klinischen Alltag. Man verabreicht einen Wirkstoff – und wartet auf den Effekt, den er herbeiführt. Tritt der erhoffte Effekt nicht ein, variiert man die Gabe, zum Beispiel durch eine andere Konzentration oder einen anderen Wirkstoff. Trial and error.
Wie viel besser wäre es, wenn man beobachten könnte, was in der Zeit zwischen der Gabe und dem Effekt passiert? Wenn man zum Beispiel den T-Zellen dabei zusehen könnte, wie sie arbeiten – etwa wie sie Tumorzellen angreifen, mit welchen Schwierigkeiten sie dabei zu kämpfen haben?
Genau diesen Blick hinter die Kulissen versucht Prof. Dr. Bettina Weigelin zu ermöglichen. Die Professorin für Präklinische Bildgebung des Immunsystems und Gruppenleiterin am Werner Siemens Imaging Center (WSIC) am Uniklinikum Tübingen forscht gleich mit zwei innovativen bildgebenden Verfahren, die eine zelluläre Auflösung besitzen: Lichtblattmikroskopie und Intravitalmikroskopie. „Die neuen Verfahren können durch ihre Einblicke auf der zellulären Ebene eine ideale Ergänzung für MRT und PET sein und uns unter anderem wertvolle Informationen über die konkreten Wirkmechanismen von Behandlungen geben“, sagt Weigelin. Ihre Arbeit ist auch Teil des einzigen onkologischen Exzellenzclusters Deutschlands, dem „Image-Guided and Functionally Instructed Tumor Therapies (iFIT)“. Hier will man besser verstehen, warum bestimmte onkologische Therapien bei manchen Patientinnen und Patienten wirken und bei anderen nicht. Und wie könnte man die Therapie verändern, um sie wirksam werden zu lassen?
Wie das konkret aussieht, zeigt Bettina Weigelin am Bildschirm. Hier erscheinen Intravitalmikroskopische Aufnahmen eines malignen Melanoms einer Maus. „Mit fluoreszierenden Proteinen können wir bestimmte Zellen in Gewebeproben sichtbar machen“, sagt die Professorin. „Hier sehen wir einen Tumor, um den sich T-Zellen in einer Ringstruktur angeordnet haben. Sie greifen die Tumorzelle im Rahmen einer Immuntherapie spezifisch an.“ Nächstes Bild: Die T-Zellen sind verschwunden, aber der Tumor ist noch da. Bettina Weigelin erklärt, warum: „Wir konnten zeigen, dass Tumorzellen weiter existieren, wenn sie nicht von einer großen Übermacht T-Zellen angegriffen werden. Stattdessen verändern sich die verwundeten Tumorzellen offenbar, sie werden resistent, stellen zeitweise die Zellteilung ein – und wachsen dann nach einer gewissen Zeit weiter.“ Fatal für die Patientinnen und Patienten.
Bettina Weigelin und ihr Team forschten daher, wie man dieses Problem beheben könnte und erkannten, dass es bei einer größeren Anzahl von T-Zellen deutlich seltener auftritt. „Wir vermuten, dass manche Immuntherapien nicht wirksam sind, wenn die Menge der T-Zellen zu klein ist“, sagt Weigelin. Was es braucht, um Tumorzellen im Rahmen einer Immuntherapie nachhaltig zu bekämpfen, spezifiziert sie noch: „Eine größere Zahl an T-Zellen allein ist nur ein Faktor, es kommt auch auf die Dichte der T-Zellen an: Sie sollten nicht gleichmäßig im Tumor verteilt sein, sondern sich in höherer Dichte in einer bestimmten Region befinden.“ Wichtige Erkenntnisse, die dazu dienen können, die Therapie weiter zu verbessern.
Nicht nur für die Bewertung und das bessere Verständnis von Zell-basierten Immuntherapien sind die mikroskopischen Methoden von Weigelin und ihrem Team von Nutzen, auch die Wirkung anderer Immuntherapien, etwa von Checkpoint-Inhibitoren, kann mit Hilfe der Mikroskopie untersucht und besser verstanden werden.
Dass sich lebendes Gewebe auf zellulärer Ebene überhaupt beobachten lässt, ist eine Innovation der letzten Jahre, die noch immer weiterentwickelt wird – für Forschende wie Bettina Weigelin ist dies umso reizvoller. Das Intravitalmikroskop in Tübingen kostete rund eine Million Euro und nimmt mehrere Quadratmeter ein. Der Raum, in dem es sich befindet, kann nur mit Einweg-Overalls betreten werden. Dann ermöglicht das Mikroskop Einblicke in eine Gewebetiefe von bis zu zwei Millimetern, was nur wenige Geräte weltweit erreichen.
Mit dem Lichtblattmikroskop wiederum lassen sich zwar keine lebendigen Organismen, dafür aber intakte Organe der Maus in Schichten durchleuchten. Damit will man Metastasierung und die Behandlung von Metastasen besser verstehen. „Wenn wir bestimmte Zellen im Gewebe anfärben, können wir die verbliebenen Tumorzellen nach einer Therapie sichtbar machen. Wir verstehen, wo wie viele Tumorzellen übrig sind, und können dieses Ergebnis zum Beispiel mit Kombinationstherapien vergleichen“, erklärt Bettina Weigelin.
Die Beobachtungen auf zellulärer Ebene lassen sich auch auf makroskopische, in der Klinik weitverbreitete bildgebende Verfahren wie PET und MRT ableiten.
Um bei dem von T-Zellen umringten Tumor zu bleiben: „Wir verstehen durch unsere mikroskopischen Verfahren die grundsätzlichen Abläufe besser, wie und wo sich die T-Zellen um den Tumor anordnen – das wiederum erleichtert es uns, bestimmte Muster im MRT zu deuten und zu verstehen“, sagt Weigelin. Die Erkenntnisse aus zellulärer Ebene verhelfen also in vielen Fällen zu einer besseren Interpretation von MRT-Aufnahmen. Ein weiterer Schritt von „wissen, dass es wirkt“ hin zu „verstehen, wie genau es wirkt“. Bettina Weigelin und ihr Team finden langsam weitere Gucklöcher, um in die Black Box hineinzuschauen.
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