Neues Therapiekonzept – Zwangsstörungen zu Hause behandeln
Körperliche Anzeichen von Stress und Angst können direkt mit modernster Sensortechnik erfasst werden.

Zwangsstörungen zu Hause behandeln - „Smarte Sensorik in der Telepsychotherapie von Kindern und Jugendlichen (SSTeP-KiZ)“

Zusammenfassung

Telemedizinische Interventionen stellen eine bedeutsame Erweiterung der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) bei Kindern und Jugendlichen mit Zwangsstörungen dar, weil dadurch die Behandlung in der unmittelbaren Umgebung der Betroffenen durchgeführt werden kann, in der die Symptome häufig am stärksten auftreten. In der Machbarkeitsstudie SSTeP KiZ wurde die online-KVT-Behandlung ergänzt durch ein multimodales Sensorsystem, welches therapiebegleitend zur Erfassung physiologischer Stresszustände während Expositionssitzungen eingesetzt wurde. Im Rahmen des innovativen Therapieansatzes wurde ein digitales KVT-Behandlungsmanual für Zwänge während 14 wöchentlichen online-Sitzungen an 20 Kindern und Jugendlichen im Alter von 12-18 Jahren evaluiert. Zudem wurde die Veränderung der Symptomschwere erfasst. Die Ergebnisse zeigen eine erfolgreiche Anwendung der sensorgestützten KVT bei Zwängen. Sowohl die teilnehmenden Familien, als auch die Behandelnden bewerteten die online-Therapie basierend auf dem digitalen KVT-Manual als sehr gut umsetzbar und leicht verständlich. Aus den Abschlussbefragungen geht eine hohe Zufriedenheit mit diesem Behandlungsansatz sowie eine gute Nutzbarkeit der technischen Systemkomponenten hervor. Hinsichtlich der klinischen Daten konnte eine signifikante Verringerung der Zwangssymptome beobachtet werden, wobei die Durchführung der Expositionsübungen im häuslichen Umfeld sowie die Einbeziehung von Familienmitgliedern in die Behandlung als sehr hilfreich erlebt wurden. Auf Grundlage der vielversprechenden Ergebnisse des SSTeP KiZ-Projekts sind weitere Studien geplant, um die Umsetzbarkeit und Wirksamkeit sensor-basierter Therapieansätze zu untersuchen. 

Kontakt

Sie haben Interesse an der Behandlung von Zwangsstörungen? Melden Sie sich gerne:


Dr. Karsten Hollmann, Psychotherapeut

E-Mail-Adresse: zwangsstudie@med.uni-tuebingen.de


Hintergrund

Neues innovatives Therapiekonzept am Uniklinikum Tübingen

Im Rahmen des vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten Projekts zur telemedizinischen Behandlung bieten wir Kindern und Jugendlichen im Alter von 12 bis 18 Jahren mit einer Zwangsstörung die Möglichkeit, an einer professionellen Verhaltenstherapie teilzunehmen.

Bei unserem onlinebasierten Behandlungskonzept erfolgen die therapeutischen Sitzungen in Form von Videokonferenzen über das Internet. Durch den Einsatz modernster Sensoren können körperliche Anzeichen von Stress und Angst direkt in der Sitzung erfasst werden. Die individuelle Anpassung der Therapie an den jeweiligen Patienten ermöglicht eine noch gezieltere Behandlung von Zwangsstörungen bei Kindern und Jugendlichen.

Mithilfe einer speziell entwickelten Smartphone-App kann täglich das Ausmaß der Zwänge eingeschätzt werden. Die App kommt auch zum Einsatz, wenn die Patienten in ihrem Umfeld üben, keine Zwangshandlungen mehr auszuführen. Bei den häuslichen Übungen werden die Patienten von Sensoren zur Erfassung des Herzschlags (EKG) begleitet, um körperliche Anzeichen von Stress und Belastung während der Behandlung zu messen. Zudem bekommen die Patienten eine Brille mit Raumkamera zur Verfügung gestellt, um angstauslösende Objekte identifizieren zu können. Besondere Bewegungsmuster werden außerdem während der Behandlung durch Bewegungssensoren erfasst. Die hiermit gewonnenen Informationen werden dem Therapeuten während der Sitzung in Echtzeit zur Verfügung gestellt und können so unmittelbar für eine effektivere Behandlung genutzt werden. 

Zum Studiendesign

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Gefördert vom Bundesministerium für Gesundheit

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Hast Du den Verdacht, eine Zwangsstörung zu haben?

Wenn Du einen oder mehrere der folgenden Punkte mit "ja" beantworten kannst, besteht die Möglichkeit, dass Du zwangserkrankt bist:

  • Du hast wiederkehrende, quälende Gedanken, die Du nicht loswerden kannst.
  • Du musst immer wieder bestimmte Handlungen durchführen, obwohl Du das eigentlich als übertrieben und unsinnig empfindest.
  • Die Anspannung und Angst werden kurzzeitig weniger, wenn Du die Handlung durchführst oder die Gedanken zulässt.
  • Deine Zwangsgedanken bzw. Zwangshandlungen sind unangenehm und beeinträchtigen Dein Alltagsleben.


Zwangsstörung - was ist das eigentlich?

Zwangsstörungen sind eine häufige psychische Störung. Betroffene leiden an aufdringlichen Gedanken oder Vorstellungen. Meistens empfinde sie diese als belastend und unsinnig, können sie aber nicht unterdrücken, auch wenn sie es mit aller Kraft versuchen. Außerdem müssen Betroffene bestimmte Handlungen immer und immer wieder ausführen, weil sie sich sonst schlecht fühlen und es nicht aushalten können.


Zählzwang

Wer immer wieder Dinge zählen muss, könnte eine Zwangsstörung haben.

Putzzwang

Musst Du immer wieder Dinge reinigen? Dann könnte es ein Zwang sein!

Kontrollzwang

Ständiges Kontrollieren ist einer der häufigsten Zwänge bei Jugendlichen.

Ordnungszwang

Ordnung ist gut - wenn sie allerdings zwanghaft wird, sollte man medizinischen Rat einholen!

Wie läuft die Therapie ab?

Erstgespräch und Diagnostik
  • Kennenlernen und Erläutern des Vorgehens
  • Ausführliches Gespräch und Eingangsuntersuchung
  • Genaue Einführung in die Bedienung der technischen Geräte


Nach der Therapie
  • Direkt nach Therapieende werden die gleichen Untersuchungen wie bei der Erstuntersuchung durchgeführt, um herauszufinden, wie die Therapie gewirkt hat.
Die Therapie
  • Wir arbeiten nach dem Konzept der kognitiven Verhaltenstherapie. Hierbei lernt der Patient, anders mit den Zwangsgedanken umzugehen und sich den Zwängen aktiv entgegenzustellen. Diese Therapieform soll den Patienten dabei unterstützen, die Zwangshandlungen nicht mehr auszuführen.
  • Nach ausführlicher technischer Einweisung erhalten die teilnehmenden Patienten von uns die Geräte für die therapeutischen Sitzungen, wie Eye-Tracking-Kamera, Bewegungssensoren und einen Brustgurt. Weiterhin bekommt jeder Teilnehmer ein Tablet für die Zeit der Therapie zur Verfügung gestellt.
  • Alle Sitzungen erfolgen über das Telekonferenzsystem "Vidyo". Dabei sitzt der Teilnehmer zu Hause vor dem Computer.

Häufige Fragen

Jugendliche von 12 bis 18 Jahren.

Es wurde bei Dir bereits eine Zwangsstörung von einem Arzt oder Psychotherapeuten festgestellt oder es besteht der Verdacht auf eine Störung.

Du befindest Dich derzeit in keiner anderen therapeutischen Behandlung oder die Therapie ist bereits abgeschlossen.

Du verfügst über einen Internetzugang und WLAN.

Du hast Freude an der Bedienung technischer Geräte.

Ja, es ist sichergestellt, dass unbefugte Dritte keinen Zugriff auf die Daten aus der App und den Videokonferenzen haben.

Nein, da die Therapie durch das Bundesministerium für Gesundheit gefördert wird.

Publikationen

Bereits veröffentlicht

  • Primbs, J., Ilg, W., Thierfelder, A., Severitt, B., Hohnecker, C. S., Alt, A. K., . . . Menth, M. (2022). The SSTeP-KiZ System-Secure Real-Time Communication Based on Open Web Standards for Multimodal Sensor-Assisted Tele-Psychotherapy. Sensors (Basel), 22(24). https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/36559967 doi:10.3390/s22249589
  • Thierfelder, A., Primbs, J., Severitt, B., Hohnecker, C. S., Kühnhausen, J., Alt, A. K., . . . Renner, T. J. (2022). Multimodal Sensor-Based Identification of Stress and Compulsive Actions in Children with Obsessive-Compulsive Disorder for Telemedical Treatment. 
  • Thierfelder, A., Severitt, B., Klein, C., Alt, A., Hollmann, K., Bulling, A., & Ilg, W. (2023, November). Gaze behaviour in adolescents with obsessive-compulsive disorder during exposure within cognitive-behavioural therapy. Paper presented at the EAI PervasiveHealth 2023 - 17th EAI International Conference on Pervasive Computing Technologies for Healthcare, Malmö, Sweden.

In Preparation

  • Klein, C., Hollmann, K., Kühnhausen, J., Alt, A., Pascher, A., Seizer, L., Primbs, J., Ilg, W., Thierfelder, A., Severitt, B., Passon, H., Wörz, U., Lautenbacher, H., Bethge, W., Löchner, J., Holderried, M., Swoboda, W., Kasneci, E., Giese, M., Ernst, C., Barth, G., Conzelmann, A., Menth, M., Gawrilow, C., and Renner, T. Lessons Learned From a Multimodal Sensor-Based eHealth Approach for Treating Pediatric Obsessive-Compulsive Disorder. Frontiers in Digital Health
  • Klein, C., Alt, A., Pascher, A., Kühnhausen, J., Seizer, L., Ilg, W., Thierfelder, A., Primbs, J., Menth, M., Barth, G., Gawrilow, C., Conzelmann, A., Renner, T., and Hollmann, K. Manual-Based Cognitive Behavioral Therapy for Pediatric Obsessive-Compulsive-Disorder: A Digitized Sensor-Assisted Approach.

 

Motivation

Wir wollen überprüfen, ob dieser neue Behandlungsansatz für Zwangsstörungen eine Alternative zur klassischen Verhaltenstherapie in der Praxis eines Psychotherapeuten darstellt. Durch die Verwendung der verschiedenen technischen Geräte wollen wir die Verhaltenstherapie bei Zwängen individuell anpassen und weiter verbessern.