Forschungsergebnisse zu fetaler Programmierung haben gezeigt, dass pränatale Einflüsse und Erfahrungen die kindliche Entwicklung bis in das Erwachsenenalter hinein beeinflussen können. Um die kognitive Entwicklung von Feten zu erforschen, wurden Wahrnehmung und Verarbeitung visueller, akustischer und vibroakustischer Reize bislang indirekt anhand fetaler Verhaltensreaktionen beurteilt. Da sich Feten vor Umwelteinflüssen und -eingriffen geschützt im Bauch der Mutter befinden, konnte ihre Gehirnentwicklung nicht direkt untersucht werden.
fMEG
Arbeitsgruppenleitung
Prof. Dr. rer. nat. Hubert Preißl
Institut für Diabetesforschung und metabolische Erkrankungen des Helmholtz Zentrum München an der Universität Tübingen
Publikationen: Publikationen
Fetale Magnetoenzephalographie
Fetale Magnetoenzephalographie
Durch technische Fortschritte kann inzwischen die Gehirnaktivität intrauterin mittels fetaler Magnetoenzephalographie gemessen werden (fMEG, Preissl et al., 2004). Die MEG-Technologie hat sich in der Erwachsenenforschung bereits jahrzehntelang als nicht-invasive Methode bewährt, um neuronale Aktivität mit sehr hoher zeitlicher Auflösung zu erfassen. Basierend auf dieser Technologie wurde ein spezielles fetales MEG-Gerät entwickelt, welches den besonderen Ansprüchen fetaler und neonataler Messungen gerecht wird.
Mit dem fMEG können an der Oberfläche des maternalen Abdomens sowohl die spontane kindliche Gehirnaktivität als auch die Reaktion des kindlichen Gehirns auf akustische und visuelle Reize erfasst werden. Zudem kann, sozusagen als Nebenbefund, die Aktivität des fetalen Herzens gemessen werden. Letztere ist von klinischem Interesse, da Fluktuationen im Herzschlag Aufschluss über den Zustand des autonomen Nervensystems geben. Die Analyse der fetalen Herzratenvariabilität erlaubt daher Rückschlüsse auf die Entwicklung und das Wohlergehen des Kindes sowie auf Fehlfunktionen des Herzens.
Magnetische Felder, die bei Aktivität des Gehirns entstehen, werden von hochempfindlichen Sensoren (SQUIDs, superconducting quantum interference devices) aufgezeichnet. Die Sensoren befinden sich unter einer Messschale, die optimal an die Form des mütterlichen Bauches angepasst ist. Weder Mutter noch Kind werden dabei irgendwelcher Strahlung ausgesetzt. Darüber hinaus kann ein speziell angefertigtes Bettchen für Neugeborene am Gerät befestigt werden, um die kindliche Gehirnentwicklung auch postnatal weiterzuverfolgen.
Die hohe Sensitivität der Sensoren würde auch natürliche Magnetfelder im Umfeld des Geräts aufzeichnen, wodurch eine Analyse der Messdaten nicht mehr möglich wäre. Daher befindet sich das Gerät in einem magnetisch abgeschirmten Raum. Biologische Signale im Nahfeldbereich, die ebenfalls magnetische Störungen verursachen (wie z. B. fetaler und maternaler Herzschlag, Wehentätigkeit, Darmbewegungen und Bewegungsartefakte) können im Rahmen der Auswertung nachträglich herausgerechnet werden.
Zwei Systeme weltweit – Tübingen und Little Rock
Zwei Systeme weltweit – Tübingen und Little Rock
Das erste fMEG Gerät namens SARA (SQUID Array for Reproductive Assessment) ist ein 151-Kanal-MEG-System und wurde im Jahr 2000 in Little Rock, Arkansas, installiert. Durch eine Kollaboration zwischen der Abteilung für Geburtshilfe und Gynäkologie der Arkansas Universität für Medizinische Wissenschaften und dem MEG Zentrum in Tübingen wurden neue Erkenntnisse über die auditorische und visuelle Verarbeitung sowie deren zugrundeliegende neurophysiologische Korrelate bei Feten und Neugeborenen gewonnen. Über die Aufzeichnung auditorisch evozierter magnetischer Felder in Reaktion auf einen einzelnen Ton untersuchten Holst et al. (2005) die Reifung des auditorischen Kortex und zeigten eine altersabhängige Abnahme der Reaktionszeiten bei Feten und Neugeborenen.
Draganova et al. (2005, 2007) konnten fetale Hirnreaktionen auf Frequenzänderung von Tönen zeigen. In einer Längsschnittstudie wurden fetale Hirnantworten auf veränderte Frequenzen schon ab einem Gestationsalter von 28 Wochen nachgewiesen. Die Frage, wann und wie Kinder beginnen unterschiedliche Töne wahrzunehmen, ist von Bedeutung, da diese Fähigkeit Implikationen für den späteren Spracherwerb hat.
In einem anderen Ansatz wird die sogenannte Habituation, eine basale Form des Lernens, genutzt, um die neurologische Integrität und die Funktionalität des zentralen Nervensystems zu beurteilen und frühe Entwicklungsverzögerungen zu erkennen. Sheridan et al. (2008) untersuchten die Anwendung eines kurzzeitigen Habituationsparadigmas bei Feten und Neugeborenen. Sie präsentierten Serien von vier Lichtblitzen und fanden bei neun von zwölf Neugeborenen eine Amplitudenabnahme der neuronalen Antwort. Bei 29% der Feten konnten visuell ausgelöste Potentiale gezeigt werden, diese nahmen ebenfalls nach dem ersten Lichtblitz ab.
Das in Tübingen zusätzlich zum bestehenden Ganzkopf-MEG-System im Jahr 2008 installierte fMEG ist eine Weiterentwicklung des SARA Systems in Little Rock und enthält 156 Sensoren. Es ist das erste Gerät dieser Art in Europa und das zweite weltweit. Die Anschaffung des fMEG wurde durch die DFG und Landesstiftung Baden-Württemberg finanziert. In Tübingen werden Studien zu fetaler und neonataler Herzaktvität, Verhaltensstadien und Hirnaktivität sowie zu fetaler Programmierung durchgeführt.
Kiefer-Schmidt et al. (2012) erstellten Normdaten zur mittels fMEG gemessenen fetalen Herzaktivität (fetale Magnetokardiographie, fMKG). Das fMKG kann ähnlich dem Elektrokardiogramm (EKG) nicht-invasiv abgeleitet werden und erlaubt eine verbesserte Arrythmiedetektion bei Feten mit Arrhythmierisiko (Wacker-Gußmann et al., 2012; Kiefer-Schmidt et al., 2014). Kiefer-Schmidt et al. (2013) konnten einen Einfluss fetaler Verhaltensstadien auf die Reaktionslatenz fetaler Hirnantworten nachweisen: Aktive Feten reagieren schneller auf Töne als ruhige Feten. Zudem verhalten sich Feten unter Tonstimulation aktiver als ohne Stimulation. Sonanini et al. (2013) lieferten Hinweise, dass fetale Verhaltensstadien tageszeitunabhängig sind. Münßinger et al. (2013) untersuchten in einer weiterführenden Studie zu Habituation wie sich Feten im Mutterleib an akustische Reize gewöhnen. Sowohl bei Neugeborenen als auch bei Feten konnte auditorische Habituation gezeigt werden.
Linder et al. (2014) konnten einen Effekt mütterlicher metabolischer Veränderungen während eines oralen Glukosetoleranztests auf die fetale Hirnaktivität zeigen. Eine Stunde nachdem die Mütter einen Glukosetrank zu sich nahmen, zeigten Feten von Müttern mit höherer Insulinresistenz langsamere Hirnreaktionen auf akustische Reize als von Müttern mit niedrigerer Insulinresistenz. Das deutet darauf hin, dass die zentralnervöse Insulinresistenz bereits in utero programmiert werden kann. Eine Folgestudie untersucht derzeit fetale Hirnaktivität im Zusammenhang mit Gestationsdiabetes.
Eine laufende klinische Studie untersucht akustisch und visuell ausgelöste Hirnreaktionen bei wachstumsretardierte Feten, die von der mütterlichen Plazenta unterversorgt sind (Plazentainsuffizienz) im Vergleich zu einer Kontrollgruppe.
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