Patientensicherheit

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Personenprofil: Klaus Hemmen

Neue Ansätze zur Diagnosesicherheit: Die Rolle der Advanced Practice Nurse (APN) in der pflegerischen Betreuung im Mutter-Kind-Zentrum

Neue Ansätze zur Diagnosesicherheit: 

Die Rolle der Advanced Practice Nurse (APN) in der pflegerischen Betreuung im Mutter-Kind-Zentrum

Der Welttag der Patientensicherheit 2024 rückt die Bedeutung der Diagnosesicherheit in den Fokus. Dies ist nicht nur bei der ärztlichen, sondern auch bei der pflegerischen Betreuung wichtig. Studien zeigen, dass akademisch ausgebildete Pflegefachkräfte die Pflegequalität erheblich steigern können. 

Lächelnde Pflegerin

Beispielsweise hat eine Studie des Robert Koch-Instituts gezeigt, dass Kliniken mit einem höheren Anteil an akademisch ausgebildetem Pflegepersonal eine signifikant niedrigere Rate an Pflegefehlern und Komplikationen aufweisen1. Bisher sind jedoch nur 2% der Pflegefachkräfte in Deutschland akademisch ausgebildet2. Dies liegt unter anderem daran, dass die Rahmenbedingungen für den Einsatz akademisch ausgebildeter Pflegefachkräfte vielerorts noch nicht vorhanden sind und das genaue Aufgabengebiet in den unterschiedlichen Bereichen einer Klinik noch unklar definiert ist.

Eine Möglichkeit für den Einsatz von akademisch ausgebildetem Pflegepersonal ist die Einführung des Konzeptes der Advanced Practice Nurses (APNs). Die APNs bilden eine Brücke zwischen Wissenschaft und Pflegepraxis und unterstützen sowohl Pflegefachkräfte als auch Patientinnen und Patienten in komplexen Situationen.

Im Universitätsklinikum Tübingen (UKT) wurde in diesem Jahr mit der Einführung von APNs in vielen Versorgungsbereichen begonnen. Auch im Bereich der Frauenklinik können durch den Einsatz von APNs neue Ansätze in der Diagnosesicherheit, speziell bei der Betreuung stillender Mütter, erreicht werden.

Wunde Mamillen: Ein häufiges Problem stillender Mütter

Ein Beispiel, an dem sich die Auswirkungen des Einsatzes von APNs zur Steigerung der Diagnosesicherheit abbilden lassen, ist die Begleitung von Frauen mit wunden oder schmerzenden Mamillen (Brustwarzen). Stillen ist ein wesentlicher Bestandteil der frühen Mutter-Kind-Beziehung. In Deutschland möchten über 90% der Frauen nach der Entbindung stillen, doch nur 70% verlassen die Klinik stillend3. Wunde Mamillen, verursacht durch falsche Anlegetechnik oder Infektionen, sind häufige Gründe für vorzeitiges Abstillen. Nach Literaturangaben leiden bis zu 90% der stillenden Frauen in den ersten Tagen nach der Geburt an wunden oder schmerzhaften Mamillen. Auch wenn wunde Mamillen häufig vorkommen, ist es wichtig, durch geeignete Maßnahmen eine möglichst rasche Heilung zu unterstützen.

Obwohl wunde Mamillen verschiedene Ursachen und Erscheinungsformen haben können, wurden diese bisher nur wenig strukturiert erhoben. Die Dokumentation der Pflegefachkräfte, die in jeder Schicht verschiedene Gesundheitsparameter erheben und beurteilen, unterschied bisher zwischen den Verletzungen oft nur auf begrifflicher Ebene, z.B. „wund“, „gerötet“ und „empfindlich“. Diese Begriffe bieten viel Interpretationsspielraum und konnten sowohl von den Müttern als auch vom Pflegepersonal unterschiedlich verstanden und beschrieben werden.

Um eine differenziertere Betrachtung und Beurteilung des Verlaufs zu ermöglichen, wurde die sogenannte Nipple Trauma Scale (angelehnt an Abou Dakn 2011)4 eingeführt. Diese Skala erlaubt es, die Symptome standardisiert zu erfassen und nach Größe und Tiefe der Wunde objektiv zu bewerten. Die Kategorien der Nipple Trauma Scale umfassen dabei 5 Grade, aus denen sich spezifische Maßnahmen ableiten lassen. Dadurch kann nicht nur der Heilungsverlauf genauer dokumentiert werden, sondern auch besser bewertet werden, welche Maßnahmen im Heilungsprozess besonders erfolgreich eingesetzt werden können.

Behandlung und Prävention

Auch die Einbindung der betroffenen Mütter ist entscheidend. Nicht nur helfen Erfahrungsberichte und direkte Rückmeldungen dabei, die Relevanz und Dringlichkeit des Themas zu verdeutlichen und die Diagnosesicherheit weiter zu verbessern. Zusätzlich lenkt die Einführung dieser standardisierten Erhebungsmethode auch die Aufmerksamkeit der Patientinnen auf Präventivmaßnahmen. Diese umfassen die Aufklärung über optimales Anlegen und eine Basispflege der Mamillen.

Maßnahmen zur Verbesserung der Diagnosesicherheit

Die Verbesserung der Diagnosesicherheit erfordert eine systematische Herangehensweise, die auch die Fortbildung und Schulung des medizinischen Personals einbezieht. An der Universitätsfrauenklinik erfolgt dies durch strukturierte Fortbildungsangebote, die für und mit Pflegefachkräften entwickelt werden und spezifische Schulungen zu häufigen Problemen wie wunden Mamillen beinhaltet. Darüber hinaus soll die Integration wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Arbeit der interdisziplinären Teams gefördert werden, um eine bessere Versorgung der Patientinnen zu gewährleisten.



1Darmann-Finck, I.; Reuschenbach, B.: Qualität und Qualifikation: Schwerpunkt Akademisierung der Pflege. In: Jacobs, K. et al. :Pflege-Report 2018 2018, S. 163-170

2Meng, M et al.: Erste Sondererhebung des BIBB-Pflegepanels : ein aktueller Überblick zu berufsqualifizierenden Pflegestudiengängen, 2022. Online: https://res.bibb.de/vet-repository_780291

3Kersting M. et al.: Studie zur Erhebung von Daten zum Stillen und zur

Säuglingsernährung in Deutschland – SuSe II. In: Deutsche Gesellschaft für Ernährung (Hrsg.):

14. DGE-Ernährungsbericht. Vorveröffentlichung Kapitel 3. Bonn (2020) V 1 – V 34

Online: http://www.dge.de/14-dge-eb/vvoe/kap3

4Abou-Dakn et al. (2010): Positive Effect of HPA Lanolin versus Expressed Breastmilk on Painful and Damaged Nipples during Lactation. Skin Pharmacology And Physiology, 24(1), 27–35. https://doi.org/10.1159/000318228; Core Curriculum LEAARC, 2024:443