Tumore des zentralen Nervensystems sind die häufigsten soliden Tumoren des Kindesalters und nach den Leukämien die zweithäufigste bösartige Erkrankung im Kindesalter überhaupt. Sie machen mindestens 20% aller pädiatrischen Tumorerkrankungen aus. Man rechnet mit ungefähr 500 Neuerkrankungen pro Jahr in Deutschland. Die Pädiatrische Neurochirurgie Tübingen ist eines von 4 Mitglieder des kinderneurochirurgischen Referenzpanels der Deutschen Gesellschaft für pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH) dar.
Tumore des zentralen Nervensystems (Gehirn/Rückenmark) bei Kindern
Häufigkeit
45-60% aller kindlichen Hirntumoren finden sich im Bereich Kleinhirn/Hirnstamm (sogenannte Hintere Schädelgrube). Die häufigste Tumorart in dieser Region ist das Medulloblastom (20-25%), gefolgt vom niedriggradigen (meist pilozytischen) Astrozytom (12-18%). Seltener sind Hirnstammgliome (6-15%)und Ependymome (4-8%).
Bei den Tumoren des Großhirns, die ca. 25-30% aller Tumore ausmachen, dominieren die „gutartigen“ Astrozytome. Bösartige Gliome sind mit 2-5% selten, in gleicher Häufigkeit Ependymome. Alle anderen Tumorarten sind noch seltener. Tumore der Hirnhäute sind eine Rarität.
Tumore im Bereich Sehnerven/Hypothalamus und Thalamus (sogenannte Mittellinientumore) sind mit 15-20% aller Tumore häufiger als im Erwachsenenalter. Führend sind Kraniopharyngeom (6-9%) oder Sehnerven/Hypothalamustumore(4-8%). Weitere sind die Keimzelltumore sowie Tumore der Hirnanhangsdrüse.
Tumore im oder entlang des Rückenmarkes machen ca. 5% der Tumore des zentralen Nervensystems aus. Wesentliche Tumore im Rückenmark sind Astrozytome und Ependymome. Tumore entlang des Rückenmarkes sind Dermoide/Epidermoide , Neurofibrome/Schwannome und Meningeome. Die drei letztgenannten Tumore treten meist im Rahmen einer Neurofibromatose Typ 1 oder bei Schwannomatosen auf.
Symptome
Zum Zeitpunkt, an dem Kinder mit Gehirntumoren diagnostiziert werden, sind diese häufig relativ groß. Milde und uncharakteristische Beschwerden lassen sich oft im Rückblick über Monate bis Jahre erkennen. Zwei Hauptfaktoren scheinen hierfür verantwortlich zu sein: Zum einen reagieren kleinere Kinder, die Symptome nicht präzise ausdrücken und verstehen können, mit einer Verhaltensänderung oder Kompensation im Rahmen ihrer Entwicklung. Zum anderen kann das sich entwickelnde Nervensystem den raumfordernden Effekt einer langsam wachsenden Tumormasse sehr lange kompensieren. Typische Hirndrucksymptome wie Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen treten von daher viel häufiger im Rahmen der üblichen Kindererkrankungen auf. Bei Kleinkindern unter 2 Jahren sind oft die einzigen Symptome Gedeihstörung, Entwicklungsverzögerung und Gereiztheit, die schwer einer zugrunde liegenden neurologischen Ursache zuzuordnen sind.
Die häufigsten Beschwerden lassen sich in drei Kategorien einteilen: erhöhter intrakranieller Druck, umschriebene Ausfälle von Funktionen und Krampfanfälle. Anfälle sind in der Regel mit langsam wachsenden Gliomen vergesellschaftet. Das mehrmalige Auftreten von Krampfanfällen sollte deshalb zu einer diagnostischen Abklärung führen.
Tumore im oder entlang des Rückenmarkes sind ebenfalls durch schleichende Beschwerden charakterisiert. Diese sind typischerweise für Monate bis Jahre vorhanden, bevor die Diagnose etabliert wird. Wichtige Frühzeichen sind die Rückenverkrümmung (Skoliose), die bei ¼ bis ⅓ aller Patienten existiert und der diffuse Rücken- und Nackenschmerz. Lähmungserscheinungen sind aufgrund des schleichenden Auftretens bei älteren Kindern eher milde und nur etwa 20% der Patienten beklagen Gefühlsstörungen. Noch weniger haben Blasen- oder Darmstörungen.
Diagnostik
Ergibt sich der Verdacht auf einen Tumor im Bereich von Gehirn oder Rückenmark, ist eine umgehende Kernspintomographie (MRT) inklusive Kontrastmittel die Methode der Wahl. Da die Diagnostik meist nicht innerhalb von Stunden erzwungen werden muss, ergeben sich wenige Indikationen für eine „orientierende“ Computertomographie (CT).
Die Probeentnahme von Tumorgewebe im Vorfeld der eigentlichen Therapieentscheidung ist nur für sehr wenige kindliche Gehirntumore sinnvoll. Dies liegt unter anderem daran, daß für die Mehrzahl der Tumoren die vollständige Entfernung die Grundlage der Therapie ist.
Die Ausbreitungsdiagnostik beschränkt sich, wenn überhaupt, auf eine MRT-Untersuchung des Rückenmarkkanals. Mit einer Aussaht in andere Organsysteme ausserhalb von Gehirn/Rückenmark muß nicht gerechnet werden.
Nach einer Operation erfolgt eine sehr aufwändige Analyse des entfernten Tumorgewebes durch die Neuropathologie. Neben konventioneller Begutachtung unter dem Mikroskop werden auch Spezialfärbungen (Immunhistochemie) und molekulargenetische Untersuchungen des Tumors durchgeführt, um eine möglichst präzise Diagnose des Tumors nach aktuellsten Kriterien (WHO Klassifikation 2016) zu erhalten. Die exakte Zuordnung des Tumorgewebes bildet die Voraussetzung für die gesamte nachfolgende Therapie und ist damit ein zentraler Baustein einer erfolgreichen Behandlung. Alle Tumorproben werden von unseren Experten der Abteilung für Neuropathologie und zusätzlich von einem Referenzzentrum für Neuropathologie im Rahmen des HIT Netzwerkes begutachtet (s.u.).
Therapie
Die Behandlung von Tumoren von Gehirn/Rückenmark (zentrales Nervensystem = ZNS) des Kindes- und Jugendalters ist grundsätzlich interdisziplinär angelegt und findet in Deutschland seinen wissenschaftlichen und strukturellen Rahmen im „Behandlungsnetzwerk für Kinder mit Hirntumoren“ (HIT) , welches von der Deutschen Kinderkrebsstiftung gefördert wird. Hier finden sie weitere Informationen zu einzelnen Hirntumorerkrankungen
Für die ganz überwiegende Zahl der Hirntumoren stehen entsprechende Behandlungsprotokolle zur Verfügung, die alle 5-10 Jahre neu aufgelegt werden. Durch Einbindung von Referenzzentren für Diagnostik und Therapie wird ein hohes Maß an Standardisierung, Qualitätskontrolle und Sicherheit für den Patienten erreicht. Seit 2017 ist Tübingen und Berlin (die beiden größten Behandlungszentren für pädiatrische Hirntumore in Deutschland), kinderneurochirurgischen Referenzzentrum des HIT Netzwerkes, weitere Referenzzentren finden sich in Heidelberg und Hamburg.
Über 90% der ungefähr 500 Neuerkrankungen pro Jahr werden zur Zeit innerhalb der jeweiligen Studien behandelt. Da die Heilungsraten von Kindern mit Tumoren des ZNS aber immer noch niedriger liegen als die von Kindern mit Krebserkrankungen außerhalb des ZNS, kommt dem interdisziplinären Behandlungsansatz und dem Einschluss der Patienten in Therapieoptimierungsstudien eine besondere Bedeutung zu, um die Prognose von Kindern mit Hirntumoren weiter zu verbessern.
Die vier wesentlichen Säulen der Tumortherapie sind Neurochirurgie, Strahlentherapie, Chemotherapie und zielgerichtete Therapie. Alle Therapieentscheidungen werden in einer gemeinsamen Konferenz der beteiligten Disziplinen inklusive der Neuroradiologie, Neuropathologie und Neuropädiatrie getroffen (siehe Pädiatrische NeuroOnkologische Konferenz). Die enge interdisziplinäre Arbeit und Kooperation war schon immer ein herausragendes Merkmal der Tübinger Kinderonkologie und pädiatrischen NeuroOnkologie. Seit Herbst 2018 sind wir Teil des von der Deutschen Krebsgesellschaft zertifizierten und empfohlenen „Universitären Zentrums für Kinder- und Jugendonkologie Tübingen"
Neurochirurgische Therapie
Für die große Mehrzahl aller kindlichen Gehirn- und Rückenmarkstumoren steht die neurochirurgische Therapie am Anfang des Behandlungskonzeptes.
Die moderne mikrochirurgische Therapie ist darauf ausgerichtet, die vollständige Entfernung des Tumors ohne dauerhafte Verschlechterung des Kindes zu erreichen, gepaart mit Verbesserung oder Verschwinden der prä-operativen Beschwerden. Die Operation gleicht manchmal der Besteigung eines Berges über einen schmalen Grat, bei der der Weg des Chirurgen präzise zwischen Funktionsverlust und unvollständiger Entfernung verlaufen muß.
Vorrang hat jedoch immer der Erhalt der Funktion, so dass in manchen Situation trotz allen Hilfsmitteln und aller operativer Kunst die vollständige Entfernung des Tumors nicht möglich ist, weil dies das Kind/den Jugendlichen zusätzlich schädigen würde.
Um den genannten Zielen möglichst nahe zu kommen, gelten folgende Prinzipien und Strategien:
1. Planung der Operation auf der Basis hochwertiger MRT Bildgebung
Sorgfältige und individualisierte Planung der Operation auf der Basis hochwertiger MRT Bildgebung, die je nach Lokalisation des Befundes ergänzt werden sollte durch die Darstellung von Motorik und Sprache, Darstellung relevanter Faserbahnsysteme, Charakterisierung des Stoffwechsels, Darstellung von Blutgefäßen und Hirnnerven. Vieles davon können wir dank einer spezialisierten Forschergruppe in Kinderklinik und Neuroradiologie häufig bereits für relativ kleine Kinder realisieren.

Sehr stark durchblutete Tumore können in ihrer Gefäßstruktur dargestellt und ggf. einer „Verstopfung“ (Embolisation) unterzogen werden, damit sie bei der Operation nicht zu stark bluten.
Die sogenannte „Zugangsplanung“ sollte die bestmögliche Darstellung des Tumors bei gleichzeitiger Minimierung von Schäden durch den Weg zum Tumor ermöglichen.
Die Operationsstrategie, die sich aus dieser detaillierten Planung ergibt, hat einen erheblichen Anteil am operativen Erfolg.
2. Blutsparende Operationstechnik
Das häufig geringe Blutvolumen der Patienten macht eine äußerst blutsparende Operationstechnik ab Hautschnitt notwendig sowie ggf. den frühzeitigen Ersatz von Blut und Gerinnungsfaktoren. Die Aufrechterhaltung eines altersentsprechend guten Blutdruckes während der gesamten Operation ist wichtig. Ein hohes Maß an Kommunikation und Verständnis zwischen pädiatrischen Neurochirurgen und Kinderneuroanästhesisten während der Operation ist wichtig, um diese sicher zu gestalten.
3. Überwachung der Funktion bestimmter Bahnsysteme
Die Überwachung der Funktion bestimmter Bahnsysteme während der Operation Intraoperatives Monitoring - IOM) und die konsequente Anwendung dieser Techniken selbst bei kleinsten Kindern ist ein wesentlicher Bestandteil der funktionserhaltenden aber möglichst vollständigen Entfernung kritisch gelegener Tumore.

4. Der Einsatz der Neuronavigation
Der Einsatz der „Neuronavigation“ dient neben der präzisen Planung des Zugangs zum Tumor auch der Orientierung während der Operation. Häufig verschieben sich allerdings durch die Tumorentfernung selbst die Koordinaten, so dass die Methode im Verlauf der Operation weniger zuverlässig wird.
5. Intraoperative Darstellung von Resttumorgewebe
Somit kommt der Darstellung von Resttumorgewebe mit hochauflösenden Ultraschall eine besondere Bedeutung zu. Dieses Verfahren setzten wir bei jeder Operation routinemäßig ein. Eine sehr präzise, aber sehr zeitaufwändige und teure Art der Bildgebung während der Operation ist das intraoperative MRT, welches wir, wenn immer sinnvoll, zusätzlich zum Ultraschall bei Hirntumoroperationen von Kindern- und Jugendlichen einsetzen.
6. Maßnahmen zur Optimierung des Funktionserhaltes
Der erhebliche personelle und zeitliche Aufwand für die genannten Maßnahmen zur Optimierung der Funktionserhaltes bei gleichzeitig hoher chirurgischer Radikalität ist dadurch gerechtfertigt, dass „gutartige“ Tumore durch eine vollständige Resektion geheilt werden können und bei „bösartigen“ Tumoren das Ausmaß der chirurgischen Entfernung ein prognostisch entscheidender Faktor ist.
Daraus ergibt sich, dass verdrängend wachsende Tumorprozesse häufiger eine chirurgisch vollständige Entfernung unter Funktionserhalt zulassen als einwachsende (infiltrative) Prozesse, insbesondere wenn diese in kritischen Arealen wie Sehbahn, Hypothalamus, Stammganglien, Hirnstamm und Rückenmark auftreten.
Strahlentherapie
An den operativen Eingriff schließt sich bei den bösartigen Hirntumoren fast immer die Strahlentherapie an, wenn die Kinder hierfür nicht zu jung sind. Die Strahlentherapie als wichtige Säulen der Tumorbehandlung hilft die Prognose für die Heilung bösartiger Tumore entscheidend zu verbessern. Je nach zugrunde liegender Tumorart, Stadium der Erkrankung (z.B. mit oder ohne Metastasierung) und Alter des Kindes sind unterschiedliche Kombinationen von Chemo- und Strahlentherapie in den jeweiligen Studienprotokollen empfohlen.
Chemotherapie
Die Chemotherapie wird bei praktisch allen bösartigen Hirntumoren im Kindes- und Jugendalter in der Weiterbehandlung zusätzlich zur Operation und Bestrahlung eingesetzt. Auch bei „gutartigen“ Tumoren, die nicht oder nicht vollständig entfernt werden konnten und die weiter wachsen, ist die Chemotherapie Bestandteil aktueller Behandlungskonzepte. Im Gegensatz zur Chirurgie und Strahlentherapie als nur „vor Ort“ wirkende Therapie, hat die Chemotherapie einen Effekt im ganzen Körper. Trotz dieses „Nachteiles“ kann sie dadurch auch kleine Fernabsiedlungen im Gehirn und Rückenmark erreichen.
Zielgerichtet Therapien
Auf der Basis der heute im Rahmen des HIT Netzwerkes routinemäßig zur Verfügung stehenden molekulargenetischen Charakterisierung und Klassifizierung der kindlichen Hirntumore kann man bei Nachweis eine krankheitsverursachenden Mutation ggf. zusätzlich zur Chemotherapie sogenannte „Zielgerichtete Therapien" einsetzen. Bei einer zielgerichteten Therapie werden „Inhibitoren“ verabreicht, die gezielt die Folgen der spezifischenMutation im Stoffwechsel des Tumors wieder abschalten sollen.
Behandlungen von Rückfällen
Rückfälle (Wiederkehr) von meist bösartigen Hirntumoren treten in der Regel in den ersten 1-3 Jahren nach Diagnosestellung auf und nach 5 Jahren wird ein Rückfall immer unwahrscheinlicher. Für Rückfälle stehen entsprechende „Rezidivprotokolle“ im Rahmen des HIT Netzwerkes zur Verfügung. Auch hier wird wenn möglich nochmals eine Operation vorgeschaltet.
Therapiefolgen
Die Therapiefolgen werden durch die Summe der Einflüsse des Tumors (Ausfälle vor der Operation), eines begleitenden Hydrozephalus (oder Komplikationen seiner Behandlung), der Operation, der Chemotherapie und der Bestrahlung bestimmt.
Zu den möglichen Folgezuständen gehören Ausfallerscheinungen, Einbrüche der Gehirnleistung (Gedächtnis, Ausdauer, Erfassungsgabe, Konzentration, Orientierung), Wachstumsbehinderung, Hormondefizite, Hör- und Sehstörungen. Ein wichtiger Faktor für das Ausmaß der Spätfolgen ist auch das Alter bei Therapie.
Weitere wichtige Einflußgrößen auf das langzeitige Therapieergebnis sind die indirekten psychosozialen Folgen der Tumorerkrankung im Kindesalter. Hierzu zählen die wiederholte Abwesenheit von Familie und Beziehungsgruppe in Schule und Freizeit, die Krankenhausaufenthalte während Chemo- oder Strahlentherapie oft über Monate, der Verlust der Kopf- und Körperhaare, die eingeschränkte Mobilität und Energie im Alltag, die Veränderung des eigenen Körperbildes, der zunehmende Abstand vom idealen Körperbild und die aus allen Faktoren resultierende Einschränkung in der sozialen und sexuellen Entwicklung des Kindes.
Zertifikate und Verbände

Focus: Top Nationales Krankenhaus 2025

Stern: Deutschlands Ausgezeichnete Arbeitgeber Pflege 24/25

Qualitätspartnerschaft mit der PKV

Erfolgsfaktor Familie

Die Altersvorsorge für den Öffentlichen Dienst