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Kraniosynostosen - Wachstums­störungen des Schädels

Kraniosynostosen

Wachstums­störungen des Schädels

Eine Kraniosynostose ist eine frühzeitige Verknöcherung einer oder mehrerer der sogenannten Schädelnähte, die mit einer umschriebenen oder allgemeinen Wachstumsstörung des Schädelskeletts einhergeht. Der Wachstumsimpuls geht vom sich rasch vergrößernden Gehirn, nicht vom Knochen selbst aus. 

Es existieren vier Hauptschädelnähte (Frontal-, Coronar-, Sagittal-, und Lambdanaht), die sich mit Ausnahme der Frontalnaht, die bereits gegen Ende des ersten Lebensjahres verknöchert, normalerweise erst ab dem zweiten bis dritten Lebensjahrzehnt verschließen. Durch die in der Kindheit offenen Schädelnähte wird zum einen die Verschiebung der Schädelknochen unter der Geburt gewährleistet, zum anderen wird das rasche Schädelwachstum durch das im ersten Lebensjahr sehr schnell wachsende Gehirn ermöglicht.

Im Falle eines vorzeitigen Verschlusses einer oder mehrerer Schädelnähte entsteht eine Wachstumshemmung des Schädels und daraus resultierender charakteristischer Verformung des Schädels.

Vater liegt mit Kind auf der Brust
Das generelle Ziel der Therapiemaßnahmen bei Kraniosynostosen ist, möglichst viele der negativen Folgen der Synostose zu beseitigen, abzumildern oder vorzubeugen und dem Kind dadurch optimale Bedingungen für seine Entwicklung zu schaffen.

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für Kraniofaziale Anomalien

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Beteiligte Fachabteilungen:
Neuropädietrie
(OA Dr. Jan Kern, Dr. Karin Haas-Lude)
Neurochirurgie
(Prof. Dr. Martin Schuhmann)
Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie
(Prof. Dr. Dr. Michael Krimmel)


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Therapie

Das generelle Ziel der Therapiemaßnahmen bei Kraniosynostosen ist, möglichst viele der negativen Folgen der Synostose zu beseitigen, abzumildern oder vorzubeugen und dem Kind dadurch optimale Bedingungen für seine Entwicklung zu schaffen. Je nach Form und Ausprägung der Synostose stehen der ästhetische Aspekte oder Gründe wie Senkung eines erhöhten Druckes im Kopf oder Schutz der Augen durch Vergrößerung der Augenhöhle im Vordergrund. 

Je nach Form der Synostose existieren zwei Operationsprinzipien, die in gemeinsamer Arbeit durch die Pädiatrische Neurochirurgie und die Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie durchgeführt werden.

Passive Remodellierung

Bei der passiven Remodellierung, wie sie z.B. bei der Sagittalnahtsynostose angewandt wird, werden die entsprechend verknöcherte Schädelnaht sowie die angrenzenden Knochen der Schädelkalotte entfernt. Innerhalb weniger Monate wird der Knochen wieder vom Körper nachgebildet (sog. Reossifikation) und der Schädel im Intervall dazwischen entsprechend der formenden Kraft des wachsenden Gehirns ummodelliert. Diese Operation sollte zwischen dem 5.-6. Lebensmonat durchgeführt werden, da zu diesem Zeitpunkt des maximalen Gehirnwachstums der Innendruck im Kopf am höchsten ist und die erneute Verknöcherung auch problemlos erfolgt. Eine Operation zu einem früheren Zeitpunkt, z.B. mit 3 Monaten erfordert die zusätzliche Behandlung mit einem Helm, der die Neuformung unterstützt. Diese frühe endoskopisch assistierte Therapie bietet insbesondere bei Metopica- und Coronarnahtsynostosen Vorteile, da häufig eine spätere, umformende und größere Operation vermieden werden kann.

Aktive Remodellierung

Die aktive Remodellierung wird beispielsweise bei der Frontalnaht/Metopicasynostose oder der isolierten Coronarnahtsynostose im Alter von 10-12 Monaten angewandt. Hierbei wird der Schädelknochen im Bereich der Stirn und des Daches der Augenhöhle inkl. der verknöcherten Naht entnommen, in geeignete Segmente zerlegt, aktiv umgeformt und anschließend wieder in gewünschter Form zusammengesetzt und an der Schädelbasis fixiert. Damit wird die Fehlform im Bereich von Stirn und Augenskelett verbessert und bei syndromalen Kraniosynostosen auch Platz im Kopf geschaffen.

Bei manchen Synostosen wird auch eine Erweiterung des Schädels nach hinten angewandt.

Als wichtigstes Risiko dieser Operationen ist ein relevanter Blutverlust zu nennen, der vor allem durch die große Wundfläche bedingt ist. Hier ist oft eine Gabe von Blutkonserven und Gerinnungsfaktoren trotz aller blutsparenden Operationstechniken und Maßnahmen während des Eingriffs im Regelfall notwendig. Die Kinder verbringen nach der Operation eine Nacht auf unserer Kinder-Intensivstation um eine optimale Versorgung und Überwachung der Blutwerte zu gewährleisten. Der stationäre Aufenthalt beträgt insgesamt je nach Art der Operation und Alter des Kindes zwischen 4-7 Tagen.

Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Kraniosynostose nach einer erfolgreichen Operation erneut so massiv auftritt, das heißt der Platz für das Gehirn zu gering wird, dass eine Zweitoperation notwendig ist, liegt bei isolierten Synostosen bei maximal 10% und bei den Syndromen mit vielen betroffenen Nähten bei mindestens 60%. 


Nachbetreuung

Nach einer Operation werden die Kinder regelmäßig in unserer kraniofazialen Sprechstunde von einem Team aus Kinderneurochirurgen, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen und Neuropädiatern über Jahre nachbetreut um eventuelle Rezidive frühzeitig zu erkennen. 

Formen, Häufigkeit und Ursachen der Kraniosynostosen

Wissenschaftliche Abbildung
Vorzeitiger Nahtverschluss mit jeweils resultierender charakteristischer Kopfform im Vergleich zur normalen Schädelform bei offenen Schädelnähten. Die verschlossene Naht ist auf der jeweiligen Abbildung nicht mehr sichtbar.

Bei der Sagittalnahtsynostose resultiert aufgrund der veränderten Wachstumsrichtung eine längliche, schmale Schädelform mit ausladendem Hinterkopf und prominenter Stirn (sog. Scaphocephalus). Die Fontanelle ist oft eng oder ganz verschlossen und man kann eine knöcherne Leiste im Bereich der Sagittalnaht tasten.

Die Metopicasynostose führt zu einer im Stirnbereich spitz zulaufenden Kopfform oft mit tastbarer Knochenleiste an der Metopicanaht. Die Form der Stirn kann sich nicht normal entwickeln und es bestehen oft Einziehungen im Bereich der Schläfen oder über der seitlichen Region der Augenhöhlen. Als Ausgleichsreaktion kann man oft ein verstärktes Wachstum des Schädels im hinteren Bereich beobachten. Alles Veränderungen zusammen führen, vor allem von oben betrachtet, zu einer klassischen dreieckigen Kopfform (sog. Trigonocephalus).

Bei der einseitigen Coronarnahtsynostose entwickelt sich eine Asymmetrie von Stirn und auch Gesicht (sog. Gesichtsskoliose) mit Abflachung der Stirn und der Augenhöhle auf der betroffenen Seite und Vorwölbung der Stirn auf der Gegenseite (sog. Anteriorer Plagiocephalus). Das Auge der betroffenen Seite wirkt oft größer, die Nase kann zur Gegenseite abweichen. Die beidseitige Coronarnahtsynostose ist sehr selten und führt zu einem verstärkten Schädelwachstum in die Breite (sog. Brachycephalus). Es entwickelt sich eine sehr hohe und flache Stirn, die Augenhöhlen können verkleinert sein. Oft wächst der Schädel kompensatorisch in die Höhe (sog. Turricephalus).

Bei der Lambdanahtsynostose kommt es zu einer einseitigen Asymmetrie des Hinterkopfes (sog. Posteriorer Plagiocephalus) mit Abflachung auf der betroffenen Seite und kompensatorischer Vorwölbung auf der Gegenseite. Von vorne betrachtet kann eine Asymmetrie der Ohren auffallen. Die wesentliche Differentialdiagnose zur sehr seltenen Lamdanahtsynostose ist der sogenannte und relativ häufige „Lagerungsplagiocephalus“, bei dem die Lambdanähte offen sind.

Häufigkeit

Die Häufigkeit primärer Kraniosynostosen liegt bei 1/2500, wobei die isolierte Sagittalnahtsynostose etwa 50% aller Fälle ausmacht. Die häufigsten mit Kraniosynostosen assoziierten Syndrome sind Apert-, Crouzon-, Muenke und Saethre-Chotzen-Syndrom. Sie kommen jeweils nur einmal unter etwa 30.000-80.000 Geburten vor. 

Ursachen

Die Ursache isolierter Synostosen ist bisher noch ungeklärt. Eine familiäre Häufung isolierter Sagittal- und Frontalnahtsynostosen von etwa 5% lässt bei manchen Familien auf eine erbliche Ursache schließen, jedoch ist der Gendefekt (Ort der Erbgutveränderung) bis heute nicht bekannt. Für die häufigsten Syndrome hingegen sind die Genveränderungen bekannt und die Erkrankungen werden autosomal-dominant vererbt, das heißt mit einer Wahrscheinlichkeit von 50%.

Symptome und Klinik

Folgen von Synostosen, Schädelfehlformen und möglichen anderen Fehlbildungen, die in Zusammenhang mit einem Syndrom auftreten können sind:

  • Ästhetisch problematische Schädel-Deformierungen, die zu sozialen Ausgrenzungen und Stigmatisierung führen können
  • Entwicklung von erhöhtem Druck im Kopf - "Hirndruck"
  • Eine zu flache Augenhöhle
  • Eine Unterentwicklung des Mittelgesichts
  • Begleitende Fehlbildungen an Gehirn, Extremitäten und inneren Organen
  • Entwicklungsverzögerungen (inkonstant, je nach Krankheitsbild)

Sehr auffällige Schädeldeformationen wirken oft entstellend und können im späteren Leben zu sozialen Ausgrenzungen führen. Auch bei isolierten Nahtsynostosen ist bei weiterem Schädelwachstum mit einer Zunahme der Schädeldeformation zu rechnen, die das betroffene Kind stigmatisieren und damit beeinträchtigen kann. Deshalb ist unter anderem der ästhetische Aspekt insbesondere bei isolierten Nahtsynostosen wichtig. 

Bei einer normalen Entwicklung des Gehirns kann die Wachstumshemmung des Schädels durch eine Nahtsynostose zur einer Steigerung des Hirndruckes führen. Das Ausmaß dieser Hirndrucksteigerung hängt vor allem von der Anzahl der betroffenen Nähte und dem Zeitpunkt der Verknöcherung ab.
Aktuelle Studien unserer Klinik haben gezeigt, dass bei einer vorzeitigen Verknöcherung einer einzelnen Naht, insbesondere der Sagittalnaht, auch stärkere Erhöhungen des Hirndruckes bei bis zu 80% der Kinder auftreten. Unklar ist, ob und wenn ja wie stark dadurch die Entwicklung des Gehirns beeinträchtigt wird. Das Auftreten einer schwerwiegenderen Erhöhung des intrakraniellen Druckes („Hirndruck“) mit der Ausbildung von klassischen „Hirndrucksymptomen“ ist bei einer isolierten Nahtsynostose sehr selten, bei einem Verschluss mehrere Nähte häufiger. Es gibt Hinweise in der Literatur, dass Kinder, die früher an einer Sagittalnahtsynostose operiert wurden (vor dem 6. Lebensmonat) nach 10 Jahren im Schnitt eine bessere kognitive Funktion hatte als Kinder, die spät (nach 12 Monaten) operiert wurden.

Schwere Formen von Kraniosynostosen, wie sie im Rahmen von Syndromen vorkommen, können mit einer Unterentwicklung der Augenhöhlen und des Mittelgesichts einhergehen. Eine unterentwickelte und flache Augenhöhle kann zu einem inkompletten Lidschluss bei stark hervorstehenden Augen führen und dadurch die Hornhaut durch Austrocknung und Entzündung gefährden. Eine Unterentwicklung des Mittelgesichts kann zur Einengungen der Luftwege führen, was sich unter anderem bei Nacht in einem Schlafapnoe-Syndrom äußern kann. Weitere Probleme, die mit einem unterentwickeltem Mittelgesicht einhergehen können, sind: Mittelohrentzündungen und Schwerhörigkeit, falsche Kieferrelation mit einem Zurückliegen des Oberkiefers, Platzmangel der Zähne und Beeinträchtigung der Kaufunktion.

Bei Syndromen muss man mit weiteren Fehlbildungen rechnen, so z.B. Entwicklungsstörung des Gehirns, Innenohrschwerhörigkeit, Verschmelzen von Fingern und Zehen (sog. Syndaktylie) und Gaumenspalten,dem Abrutschen des Kleinhirnes aufgrund eines zu kleinem Kopfe in den Rückenmarkskanal (Chiari 1 Formation) oder eine Blutabflußbehinderung aus dem Schädel.

Diagnostik und Differentialdiagnose

Da Kraniosynostosen mit einer typischen Schädelform einhergehen, ist die Zuordnung zu einer bestimmten Synostose in der Regel für erfahrene Ärztinnen und Ärzte eine sogenannte Blickdiagnose. Meist ist keine weitere bildgebenden Diagnostik notwendig. Die Ultraschalluntersuchung (Sonographie) der Schädelnähte kann den Verschluss oder das Offensein der 4 großen Schädelnähte ohne Strahlenbelastung ermöglichen. Bleiben dann noch offene Fragen, ist eine einfache Röntgenaufnahme des Schädels oder eine moderne extrem stahlenreduzierte Computertomographie nur der Schädelknochen der nächste Schritt. 

Die wichtigste andere „Erkrankung“ (Differentialdiagnose) bei der einseitigen Abflachung des Hinterkopfes ist die sogenannte Lagerungsdeformität des Schädels (Lagerungsplagiocephalus), die die häufigste Schädeldeformierung überhaupt ist. Sie entsteht in den ersten Lebenswochen durch bevorzugte Lage des Kindes auf einer Seite des Kopfes und bessert sich in der Regel durch Lagerungsmaßnahmen mit speziellen Kissen, Physiotherapie/Osteopathie und dann spontan mit zunehmender Bauchlage der Kinder und aufrechter Körperhaltung ohne Notwendigkeit einer Therapie. Wichtig ist, dass Lagerungsmaßnahmen und Physiotherapie/Osteopathie frühzeitig in den ersten Lebensmonaten beginnen. Betroffene Kinder zeigen häufig eine normale Kopfform zum Zeitpunkt der Geburt, während Kinder mit Kraniosynostosen bereits bei der Geburt durch ihre ungewöhnliche Kopfform auffallen können. Extremere lagerungsbedingte Kopfverformungen können zusätzlich mit einer sogenannten Helmtherapie zusätzlich behandelt werden, wobei diese spätestens im 5. Lebensmonat eingeleitet werden sollte, um noch effektiv sein zu können.

Kinder mit Verdacht auf oder bereits gesicherter Kraniosynostose werden in der interdisziplinären Kraniofazialen Sprechstunde in der Kinderklinik (link) gemeinsam von Ärzten und Ärztinnen der Neuropädiatrie, Pädiatrischen Neurochirurgie und Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie gesehen. Neben der Blickdiagnostik können die Schädelnähte mit Hilfe der Sonographie bei diesem Termin dargestellt werden. Zur Abschätzung eines begleitenden „Hirndruckes“, kann ergänzend eine Sonografie des Optikusscheidendurchmessers (ONSD) erfolgen.

Zertifikate und Verbände

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