Wenn es um moralische Dilemmata geht, existiert oft eine moralische Dichotomie zu ihrer Lösung. Die berüchtigten Trolley- und Brückenprobleme veranschaulichen den Konflikt: Wenn eine außer Kontrolle geratene Straßenbahn in Richtung von fünf Gleisarbeitern auf der Strecke fährt, würden sowohl Deontologen (regelgebundene Moral) als auch Utilitaristen (ergebnisbasierte Moral) den Wagen auf ein Gleis mit nur einem Arbeiter umleiten. Aber wenn eine Straßenbahn auf fünf Gleisarbeiter auf der Strecke zufährt, würden es Deontologen verbieten, einen sehr großen Mann auf die Strecke zu schieben, um den Wagen zu stoppen, während Utilitaristen diese Aktion als moralisch zulässig erlauben. Das Verständnis, wie unsere moralische Entscheidungsfindung während der Dilemmata in unserem Gehirn verarbeitet wird, ist sowohl aus gesellschaftlichen als auch aus klinischen Gründen entscheidend.
Neuroimaging-Studien haben festgestellt, dass zwei verschiedene neuronale Aktivierungswege zur moralischen Dichotomie beitragen: stärkere Aktivierungen in emotionsassoziierten Regionen treten häufiger deontologisch als Reaktion auf Dilemmata auf, während stärkere Aktivierungen in kognitionsassoziierten Regionen - utilitaristisch. Persönliche Merkmale (z.B. Empathie, Prosozialität, Risikobereitschaft) und Geschlecht tragen ebenfalls zu Unterschieden in der neurobiologischen Realisierung moralischer Entscheidungsfindung bei. In Verhaltensstudien wurden utilitaristische Antworten negativ mit Trait-Empathie und humanisierten Opfern in Dilemma-Szenarien und positiv mit Psychopathie oder Defiziten in Empathie assoziiert. Funktionale Neuroimaging-Studien mit Kindern und Erwachsenen haben festgestellt, dass der Anblick von Schmerzen oder emotionale Belastung eine neuronale Reaktion in einem Netzwerk hervorruft, das sich aus Regionen zusammensetzt, die an moralischen Entscheidungen beteiligt sind.
Innerhalb dieser Studie wollen wir Folgendes aufklären: (i) Geschlechterunterschiede bei der neuronalen Aktivierung während der moralischen Entscheidungsfindung und ihre Assoziation mit geschlechtsspezifischer Leistung und den (ii) Einfluss von persönlichen Merkmalen auf Verhaltens- und neurobiologische Mechanismen moralischer Dilemmata bei Männern und Frauen.
Die Studie wird gesunde Frauen und Männer untersuchen, die während zweier experimenteller Paradigmen, die 1. moralische Empfindlichkeit und 2. Entscheidungsfindung messen, im fMRT gescannt werden. Anhand der Ergebnisse können wir Schlussfolgerungen ziehen, ob und wie persönliche Merkmale und Geschlecht die Verhaltensweisen und neuronale Korrelate der moralischen Entscheidungsfindung beeinflussen. (Aiste Ambrase, Melina Grahlow)
Ansprechpartnerinnen:
aiste.ambrase@med.uni-tuebingen.de
melina.grahlow@med.uni-tuebingen.de